Reise zu den kleinen Gemeinden in Taschkent und Fergana
Unsere Vorstandsmitglieder Achim Reis und Stefan Reder haben vom 22.-29. Oktober 2025 die kleinen evangelischen Gemeinden in Taschkent und in Fergana (Karte vom Fergana-Tal) besucht. Gemeinden in der Diaspora zu unterstützen bedeutet nicht nur materielle Hilfe zu schicken, sondern bedeutet auch, sie zu besuchen und den Austausch zu pflegen. Beide kennen sich bestens aus. Stefan Reder war von 1991-2014 der bischöfliche Beauftragte für die Evangelisch-Lutherische Kirche für Mittelasien, später Stellvertreter des Erzbischofs und Direktor des theologischen Seminars in Novosaratovka. Achim Reis hat vier Jahre als Pfarrer in Kiew, also in der Ukraine, gearbeitet.
Foto: Nicht nur vor den Kirchen und Bethäusern haben staatliche Stellen "aus Sicherheitsgründen" Kameras postiert, sondern auch innen, wie in der Kirche in Taschkent. So sind die Staatsorgane buchstäblich immer im Bilde.
„Ne nada!“ - Nicht nötig. Nach Mitternacht sind wir auf dem Flughafen Taschkent gelandet, nach einer kurzen Nacht im Hotel geht es mit dem Taxi zur Kirche. Ich nehme neben dem Fahrer Platz, will den Sicherheitsgurt anlegen. Doch der ist abgeschnitten und säuberlich aufgewickelt über der linken Seitentür eingeklemmt. Als ich nichtsahnend an ihm ziehe, fällt er mir entgegen. Ein Gurt sei nicht nötig, so der Fahrer. Dann wolle ich mich nach hinten setzen. „Sie sind Gäste aus Deutschland?“ Der Mann weiß Bescheid.
An der kleinen neogotischen Kirche im Herzen der Stadt steigen Stefan Reder und ich aus. Wir sind wieder einmal in Usbekistan, um im Auftrag des Gustav-Adolf-Werkes in Hessen und Nassau die dortigen lutherischen Gemeinden zu besuchen. Wir treffen uns mit dem Ehepaar Schmidt. Ludmilla ist die Predigerin, Viktor der Gemeindevorsteher. Schon vor dem Betreten der Kirche fallen uns mehrere neu installierte Kameras auf. Sie sind auch im Kircheninneren, eingebaut auf Anweisung der Staatssicherheit und mit Spendengeldern vom GAW. Jetzt läßt sich das Gemeindeleben noch leichter überwachen. Hintergrund, so Viktor, sei eine Messerattacke in einer der Moscheen, man wolle darum generell bei religiösen Feiern auf Nummer Sicher gehen.
Wir sehen uns die Fenster an, die zu Einbau im Kircheninneren gestapelt sind. Eine unendliche Geschichte, seit 2007 geht das. Die Qualität ist miserabel, erst hat der Fensterbauer die Montage verzögert, jetzt stellt sich das Denkmalamt quer. Neue Fenster sind eine Veränderung am Bau, die muß erst genehmigt werden. Daß die Kirche bis 1977 eine fensterlose Ruine war in der die Öffnungen für die Fenster bis dahin und anders als jetzt in der Mitte von Mauerwerk unterbrochen waren, interessiert hier nicht. Das Amt will das letzte Wort haben.
Wir verabreden uns mit den Schmidts für später zum Abendessen, kaufen noch eine usbekische Sim-Karte und setzten uns auf einen Imbiß in ein Restaurant mit nationalen Gerichten. Plov, d.h. Reis mit Fleisch und Möhren, ist ausverkauft. Dann also Naryn, eine Schüssel mit klarer Brühe und auf einem Extrateller Nudeln zum Eintauchen in die Brühe. Recht schmackhaft. Unter die Nudeln ist Fleisch geraspelt. Meine Nachfrage bestätigt meine Vermutung: Pferdefleisch.
Stefan versucht, die neuerworbene Simkarte in sein Handy einzubauen und dieses zum Laufen zu bringen. Erfolglos. Zurück zum Kartenverkäufer weiß der auch keinen Rat. Sein Kollege vom Nachbarladen dagegen schon. In Stefans Handy war zuletzt vor zwei Jahren eine usbekische Simkarte eingebaut gewesen. Wenn er jetzt eine neue wolle, müsse er erst zurück zum Flughafen und beim Zoll ein Formular zur Beantragung dieser Karte ausfüllen. Diese Regel gelte jetzt seit etwa einem Monat. Mein Handy hatte noch keine usbekische Karte, da könne solch eine problemlos installiert werden. Also machen wir das und ich gebe Stefan Hotspot. So können wir unser Jandex-Taxi rufen, das uns erst einmal ins Hotel bringt. Beim Aussteigen fragt mich der Fahrer durchs offene Seitenfenster, ob ich aus Korea wäre. Nein, aus Deutschland. Ich würde aber die Tür wie ein Koreaner zuhauen.
Später, beim Abendessen mit den Schmidts, erklären wir denen, daß, so gerne wir als GAW die verbliebenen Gemeinden in Usbekistan unterstützen, unsere Möglichkeiten geringer werden. Die Mittel, die wir für unsere Diasporaarbeit zur Verfügung haben, nehmen ab. Die beiden nehmen es gefaßt. Wir verabreden ein weiteres Gespräch für den nächsten Abend.
Nach dem Frühstück fahren Stefan Reder und ich zur Deutschen Botschaft. Manfred Huterer ist der 11. Deutsche Botschafter im unabhängigen Usbekistan, wir kennen uns von einer Belarus-Tagung im Zentrum Ökumene Anfang 2024.
Stefan und ich berichten von der Situation der lutherischen Kirche des Landes, von den Schwierigkeiten bei der Organisation des Gemeindelebens und von der schleichenden Auszehrung durch Auswanderung. Als wir dem Botschafter die Summe unserer bisherigen jährlichen Unterstützung nennen ist er erstaunt: viel zu wenig. Damit läßt sich in einem Land, in dem die Lebenshaltungskosten in vielen Bereichen an das deutsche Niveau heranreichen, kaum etwas ausrichten. Er berichtet von der Unterstützung der deutschen Minderheit durch das BMI, da wird in einer ganz anderen Liga gespielt – wir werden es am Nachmittag selbst sehen.
Dann geht Huterer auf die deutsch-usbekischen Beziehungen ein, die seien gut und würden stetig weiterentwickelt, insbesondere in der Wirtschaft. Mehr als 80% seiner Zeit widme er diesem Bereich. Er sieht große Chancen für das Land mit einem jährlichen Wirtschaftswachstum von 5-6%. Zusammenarbeit gäbe es besonders in den Bereichen strategische Rohstoffe, deutsche Unternehmen werde hier die nötigen Maschinen zur Verfügung stellen. VW plane die Produktion im Land aufzunehmen. Für KfW und GIZ sei Usbekistan ein Schwerpunktland. Viele internationale Organisationen hätten ihren Zentrale für ganz Mittelasien in Taschkent.
Der Mittelstand entwickele sich stetig, die Bevölkerung wachse jährlich um etwa 800.000, zurzeit gebe es 38 Millionen Einwohner. Wenn das Wachstum anhalte, wohne bald jeder zweite der 80 Millionen Zentralasiaten in Usbekistan.
Anders als im Westen stehe nicht der Einzelne im Mittelpunkt, sondern das Kollektiv. Insbesondere die Tochter des Staatspräsidenten – der selbst zur tadschikischen Minderheit zähle – interessiere sich für die Stellung der Frauen, die zu verbessern, sei ihr ein Anliegen. Ein Tabu sei die Situation der Homosexuellen. Insgesamt aber sei seit 2016, seit dem Amtsantritt von Präsident Shavkat Mirziyoyev, viel Richtung Liberalisierung passiert.
Wir verabreden den Gottesdienstbesuch des Botschafters und seiner Frau für den kommenden Sonntag, nach diesem wollen wir unser Gespräch fortsetzen.
Vor unserm nächsten Termin, wir sind bei der Gesellschaft der deutschen Minderheit angekündigt, wollen Stefan und ich noch den Baufortschritt an der Shayx Ziyovudinnxon Moschee sehen. Wir waren im Juni 2023 eher zufällig auf den Rohbau der - wie es damals hieß - nach Fertigstellung größten Moschee Mittelasiens gestoßen. Inzwischen ist die Kuppel so gut wie vollendet und das durchaus stylische Minarett errichtet: ein hoher rechteckiger Turm mit im oberen Teil runden Auslassungen für die Lautsprecher. Der Baufortschritt steht zugleich für die fortscheitende Islamisierung des Landes. Auf dem nahen Friedhof besuchen wir das Grab von Sonja Wiebe, der moslemischen Frau des früheren lutherischen Bischofs Cornelius Wiebe.
Der Weg zum Quartier der Minderheit gestaltet sich zuletzt schwierig. Das Taxi bringt uns fast bis hin, dann aber führt uns Google Maps gründlich in die Irre. Nach einem Telefonat werden wir zunächst zum Zentrum für nationale Minderheiten des usbekischen Staates gelotst, dort holt uns Irina Schur ab, bringt uns ins Zentrum für die deutsche Minderheit – unweit der Stelle, wo wir das Taxi verlassen hatten.
Die Bunderegierung hat der deutschen Minderheit ein reichlich beeindruckendes Zentrum geschenkt, früher einmal Wohnsitz eines reichen Geschäftsmannes, der aber das Land verlassen hat – kurzum: es ist ein kleiner Palast. 1998, erklärt Elena Mironova, die Vorsitzende der Usbekistan-Deutschen, seien es noch um die 40.000 Deutsche in Usbekistan gewesen, jetzt schätzt sie deren Zahl auf 6.000 – dabei sind alle eingerechnet, die irgendwo einen deutschen Vorfahren haben. Fünf bis sechs Familien wandern weiterhin jedes Jahr aus. In Taschkent zählt das Zentrum 156 regelmäßige Besucher. Es gibt sieben Gruppen, angefangen mit „Wunderkind“, dem Spielkreis für die 4-8jährigen („Wunderkind“ ist ein deutsches Fremdwort im Russischen). Die Volkstanzgruppe der Jugendlichen präsentiert sich auf Bildern im Oktoberfestlook. Als der usbekische Präsident Deutschland besuchte, hatte er die jungen Leute mitgenommen – in Berlin führten sie dann auch usbekischer Tänze auf. Elena Mironova interessiert sich zum Abschluß für deutsche Kinderbibeln. Wir sagen Hilfe zu.
Abends sind wir wieder in einem Restaurant mit den Schmidts. Sie bestellen das Essen, den Tee und – wie gestern – Gläser: für den selbst mitgebrachten Wein. Die meisten Gaststätten haben keine Lizenz für den Ausschank von Alkohol. Aber so geht es auch.
Die Köchin serviert Rührei zum Frühstück, wir kommen ins Gespräch. Ihr Mann sei früher öfters in Deutschland gewesen, habe dort Autos gekauft und nach Usbekistan überführt. Deutschland sei sehr sauber. Jetzt lohne sich der Weg mit den Autos nicht mehr, die aus China seien billiger. Aber sie und ihr Mann planten eine Europareise. Zehn Tage für 1.000 $. Deutschland sei im Programm. München?
Wir gönnen dem Paar herzlich seine Reise, ermöglicht durch das usbekische Wirtschafswunder. Wobei – was unser Hotel betrifft – der Akzent auf Wunder liegt. 13 Gästezimmer insgesamt, wenn die Hälfte belegt ist, ist das viel. 40 $ die Nacht macht rund 260 $ Einnahmen. Davon sind die Köchin, die Zimmerfrau, zwei junge Männer an der Rezeption zu bezahlen, dazu Wasser, Strom und die Abschreibung des Gebäudes – wie soll das funktionieren? Doch kleine Hotels sprießen wie Pilze aus dem Taschkenter Boden, ihre Zahl wird nur übertroffen von der der Apotheken. Derer reihen sich oft drei oder vier aneinander, gefühlt muß jede 2. Familie ihre eigene haben.
Auf dem Taschkenter Inlandsflughafen kommt Stefans Feuerzeug nicht durch die Sicherheitskontrolle. Schade. Pfarrer müssen immer ein Feuerzeug bei sich führen, vielleicht gilt es, spontan Kerzen anzuzünden. Ich erinnere noch dankbar, wie mir es vor Jahren auch bei einem Flug von Taschkent nach Fergana ergangen ist. Mein Taschenmesser wird beim Scannen sichtbar. Kein Problem, sagte der Kontrolleur, ich gebe es dem Piloten und der gibt es ihnen nach der Landung zurück. Das hat wunderbar geklappt.
Die A320 Taschkent-Fergana fliegt nur dreimal die Woche. Als Vorprogramm zum Weiterflug nach Moskau und zurück. Usbekistan Airlines will keine so wenig ausgelastete Maschine auf dem Ferganaer Airport stehen lassen, darum wird ab Taschkent gestartet und an den anderen Wochentagen stehen andere Ziele auf dem Programm.
Wir überqueren das nahezu unbewohnte usbekische Mittelgebirge, im Osten sind schneebedeckte Gipfel Kirgisiens zu sehen. Nach der Landung quetschen sich überraschend viele Wartende an das Gitter vor dem Ausgang. Mit uns ist eine Maschine von Pilgerinnern aus Mekka angekommen, die werden herzlich von ihren Familien begrüßt.
Überraschender Weise funktioniert in Fergana Stefans russische Sim-Karte wieder. Aber wir tauschen die usbekische nicht zurück, ich gebe weiter Hotspot. Denn anders hieße das, wir müßten erneut wechseln, wenn wir morgen Abend wieder in Taschkent sind.
Nach einer kurzen Pause im Hotel treffen wir uns mit Nadeschda Allachverdievna, der Predigerin in der Gemeinde, beim deutschen Kulturzentrum in Kirguli. Das ist der Stadtteil, der im und nach dem Krieg vorwiegend von deportierten Deutschen und Krimtataren aufgebaut wurde.
Nadeschda kommt gerade von einer Zusammenkunft, die zweimal im Jahr vom staatlichen Komitee für religiöse Angelegenheiten einberufen wird. Zu der werden 30 Vertreter der Religionsgemeinschaften aus Fergana, Namangan und Andischan beordert, um mit den neuesten Gesetzesvorhaben und Vorschriften im Bereich der Glaubensausübung bekannt gemacht zu werden. Hauptinteresse des Staates: versammmle und herrsche.
Das deutsche Kulturzentrum ist in einem ehemaligen, vorwiegend von deutschen Kindern besuchten Kindergarten untergebracht. Der ist mangels Masse längst geschlossen, das Gebäude wurde privatisieret und der neue Eigentümer vermietet das Obergeschoß an die Gesellschaft der deutschen Minderheit. Deren Leiterin Valentina Miller führt uns durch die Räumlichkeiten. Als Wahlspruch steht über dem Versammlungsraum: Wer keine Vergangenheit hat, hat auch keine Zukunft. Ich glaube allerdings nicht, daß die Vergangenheit alleine es für kommende Generationen rausreißen wird.
Bei Kaffee – wie hier immer: Nescafé – und Keksen berichten die Damen, Natalja Windland, die Klavierspielerin der Gemeinde, ist noch dazugestoßen, von den Aktivitäten im Zentrum. Vom BMI gefördert werden Veranstaltungen, deren Teilnehmer zu mindesten 70% irgendwelche deutschen Wurzeln aufweisen. In Buchara, wo die Zahl der Deutschstämmigen noch geringer ist, genügen bereits 60%. Dabei ist bei Nichtdeutschstämmigen die Bereitschaft, sich den Mühen des Spacherlernens zu unterziehen, größer als bei denen, die sich als Deutsche fühlen. Nadeschdas Sohn hat in Taschkent mit einem deutschen Stipendium eine Ausbildung gemacht, dann ist er nach Moskau umgezogen. Das war‘s.
Stefan und ich fragen, warum ein Teil der Veranstaltungen des Kulturzentrums ausgerechnet parallel zum sonntäglichen Gottesdienst angeboten wird. Nun beschwichtigt Nadeschda: Da mit uns bereits am morgigen Samstag Gottesdienst gefeiert würde, fiele dieser am Sonntag aus und alle würden sich gemeinsam zu einer Erntedankfeier im Kulturzentrum treffen. Das überzeugt uns beide nicht. Es gibt schließlich noch weitere Sonntage. Meine Einladung, morgen ins Bethaus zu kommen und da ein echtes Stück deutscher Kultur zu erleben, wehrt Valentina Miller wegen anderer Termine ab. Wir verabschieden uns von ihr auf Russisch.
In einem Schnellrestaurant um die Ecke besprechen Nadeschda, Stefan und ich noch den weiteren Verlauf unseres Aufenthalts in Kirguli/Fergana, dann gehen wir beide zum Hotel.
Usbekistan. Samstag, 25.10.2025. Fergana
Der Gottesdienst im Bethaus beginnt um 9 Uhr. Das ist immer so. Und das ist so, weil es im Sommer mittags so heiß wird, daß alle froh sind, wenn sie vor der größten Hitze nachhause gehen können.
Das Bethaus liegt in einer Straße, die früher nur von Deutschen bewohnt wurde. Jetzt leben hier keine mehr, die Häuser sind an wohlhabende Usbeken gegangen, die kräftig umgebaut haben. Als Stefan und ich beim Bethaus eintreffen, kommen auch die Gottesdienstteilnehmerinnen nach und nach an. Zusammen sind wir schließlich 14 Frauen und die beiden Pfarrer. Predigerin Nadja führt uns durch das Gebäude und zeigt mit berechtigtem Stolz, was sich seit unserem letzten Besuch hier getan hat. Die Küche und die Garderobe sind völlig erneuert, und den vielfältigen Sicherheitsauflagen wurde Genüge getan. Die Eigeninitiative ist groß, der Zustand des Hauses ist der Gemeinde ein Herzensanliegen.
Dann beginnt der Gottesdienst. Nadja begrüßt uns Gäste aus Deutschland und führt durch die Liturgie. Gesungen wird mal auf Russisch, mal auf Deutsch. Die Texte der Lieder sind uns oft fremd, Christi Blut und seine reinigende Kraft stehen sehr im Vordergrund. Die Frömmigkeit, die sich hier ausdrückt, scheint aus einer anderen Zeit zu stammen.
Als wir an der Reihe sind, erinnern wir zunächst daran, daß es kommenden Mittwoch genau 500 Jahre her sein wird, daß in Wittenberg der erste Gottesdienst auf Deutsch gehalten wurde – in der Sprache, die die Menschen verstanden. Und wenn hier Russisch verstanden wird, dann wird der Gottesdienst auf Russisch gehalten oder zumindest ins Russische übersetzt. Denn zu verstehen, um was es geht, das ist Ausdruck evangelischen Glaubenslebens.
In Zentrum der Predigt selbst steht ein Vers aus Jesaja 42. Vers 3 im ersten Gottesknechtslied lautet: Das geknickte Rohr wir er nichtzerbrechen und den glimmenden Docht wir er nicht auslöschen.
Die Bezüge zur Ferganaer Gemeinde sind von uns gewollt, ist sie doch auf ihre Weise ein glimmender Docht. Inwieweit die Predigthörer für sich auch diesen Bezug hergestellt haben, können wir nicht sagen. Die Feier des Abendmahls schließt den Gottesdienst ab. Die Oblaten sind selbst gebacken, der Wein ist aus eigenen Trauben gekeltert.
Im Anschluß dann das gemeinsame Teetrinken, das dazugehört, wenn Gäste angereist sind. Wir machen eine kleine Runde, jede soll etwas sagen. Und zu unserem Erstaunen heißt es durchgehend: Uns geht es gut. Ja, die Gemeinde ist sehr geschrumpft. Standen früher die Gottesdienstbesucher bis in den Garten, so sind es jetzt nur noch wenige, die sich regelmäßig versammeln. Und daß die allermeisten Kinder und Enkel nach Rußland gegangen seien, das schmerzt. Aber das Leben im Land selbst ist jetzt viel leichter als noch zu Beginn des Jahrtausends, auch wenn die Renten zum Teil äußerst niedrig sind und immer noch kaum für das Nötigste reichen. Von denen, die hier sind, will keine weg, hier ist ihre Heimat.
Wir unterhalten uns noch mit Nadja über Perspektiven in der Beziehung, sagen, daß es wohl schwieriger wird, aber daß wir weiterhin unterstützen werden.
Auf dem Weg zum Bahnhof gib es noch drei interessante Kurzbegegnungen. Auf der Straße spricht uns ein junger Mann auf Deutsch an, dem besten Deutsch, das wir in Fergana gehört haben. Er hat in Dresden gekellnert, kennt auch Frankfurt und München, und will wieder nach Deutschland. Er lädt uns zum Abendessen ein, aber wir müssen leider absagen. Dann fragt im Schnellrestaurant ein Mädchen auf Englisch, ob man in Deutschland auf Englisch studieren könne oder ob man Deutsch können müsse. Das hänge vom Fach ab, sagen wir, aber Deutsch zu können ist immer besser. Und unser Fahrer, der uns schließlich zum Zugbahnhof nach Margilan fährt (Fergana hat nur einen Busbahnhof und Flüge gibt es heute nicht), sagt, er sei von Rußland hierher gezogen wegen des Ukrainekrieges. Er habe die russische und die usbekische Staatsbürgerschaft. Erstens wolle er nicht in den Krieg und zweitens käme er in Usbekistan ins Gefängnis, wenn er für Rußland in den Krieg zöge. Das ist usbekischen Staatsbürgern strengstens untersagt. Spätabends kommen wir in Taschkent an.
Der Gottesdienst im Bethaus von Fergana beginnt um 9 Uhr. Das ist immer so. Und das ist so, weil es im Sommer mittags so heiß wird, daß alle froh sind, wenn sie vor der allergrößten Hitze nachhause gehen können.
Das Bethaus liegt in einer Straße, die früher nur von Deutschen bewohnt war. Jetzt leben hier keine mehr, die Häuser sind an wohlhabende Usbeken gegangen, die kräftig umgebaut haben. Als Stefan und ich beim Bethaus eintreffen, kommen auch die Gottesdienstteilnehmerinnen nach und nach an. Zusammen sind wir schließlich 14 Frauen und die beiden Pfarrer. Predigerin Nadja führt uns durch das Gebäude und zeigt mit berechtigtem Stolz, was sich seit unserem letzten Besuch hier getan hat. Die Küche und die Garderobe sind völlig erneuert, und den vielfältigen Sicherheitsauflagen wurde Genüge getan. Die Eigeninitiative ist groß, der Zustand des Hauses ist der Gemeinde ein Herzensanliegen.
Dann beginnt der Gottesdienst. Nadja begrüßt uns Gäste aus Deutschland und führt durch die Liturgie. Gesungen wird mal auf Russisch, mal auf Deutsch. Die Texte der Lieder sind uns oft fremd, Christi Blut und seine reinigende Kraft stehen sehr im Vordergrund. Die Frömmigkeit, die sich hier ausdrückt, scheint aus einer anderen Zeit zu stammen.
Als wir an der Reihe sind, erinnern wir zunächst daran, daß es kommenden Mittwoch genau 500 Jahre her sein wird, daß in Wittenberg der erste Gottesdienst auf Deutsch gehalten wurde - in der Sprache, die die Menschen verstanden. Und wenn hier Russisch verstanden wird, dann wird der Gottesdienst auf Russisch gehalten oder zumindest ins Russische übersetzt. Denn zu verstehen, um was es geht, das ist Ausdruck evangelischen Glaubenslebens.
In Zentrum der Predigt selbst steht ein Vers aus Jesaja 42. Vers 3 im ersten Gottesknechtslied lautet: Das geknickte Rohr wir er nichtzerbrechen und den glimmenden Docht wir er nicht auslöschen.
Die Bezüge zur Ferganaer Gemeinde sind von uns gewollt, ist sie doch auf ihre Weise ein glimmender Docht. Inwieweit die Predigthörer für sich auch diesen Bezug hergestellt haben, können wir nicht sagen. Die Feier des Abendmahls schließt den Gottesdienst ab. Die Oblaten sind selbst gebacken, der Wein ist aus eigenen Trauben gekeltert.
Im Anschluß dann das gemeinsame Teetrinken, das dazugehört, wenn Gäste angereist sind. Wir machen eine kleine Runde, jede soll etwas sagen. Und zu unserem Erstaunen heißt es durchgehend: Uns geht es gut. Ja, die Gemeinde ist sehr geschrumpft. Standen früher die Gottesdienstbesucher bis in den Garten, so sind es jetzt nur noch wenige, die sich regelmäßig versammeln. Und daß die allermeisten Kinder und Enkel nach Rußland gegangen seien, das schmerzt. Aber das Leben im Land selbst ist jetzt viel leichter als noch zu Beginn des Jahrtausends, auch wenn die Renten zum Teil äußerst niedrig sind und immer noch kaum für das Nötigste reichen. Von denen, die hier sind, will keine weg, hier ist ihre Heimat.
Wir unterhalten uns noch mit Nadja über Perspektiven in der Beziehung, sagen, daß es wohl schwieriger wird, aber daß wir weiterhin unterstützen werden.
Auf dem Weg zum Bahnhof gib es noch drei interessante Kurzbegegnungen. Auf der Straße spricht uns ein junger Mann auf Deutsch an, dem besten Deutsch, das wir in Fergana gehört haben. Er hat in Dresden gekellnert, kennt auch Frankfurt und München, und will wieder nach Deutschland. Er lädt uns zum Abendessen ein, aber wir müssen leider absagen. Dann fragt im Schnellrestaurant ein Mädchen auf Englisch, ob man in Deutschland auf Englisch studieren könne oder ob man Deutsch können müsse. Das hänge vom Fach ab, sagen wir, aber Deutsch zu können ist immer besser. Und unser Fahrer, der uns schließlich zum Zugbahnhof nach Margilan fährt (Fergana hat nur einen Busbahnhof und Flüge gibt es heute nicht), sagt, er sei von Rußland hierher gezogen wegen des Ukrainekrieges. Er habe die russische und die usbekische Staatsbürgerschaft. Erstens wolle er nicht in den Krieg und zweitens käme er in Usbekistan ins Gefängnis, wenn er für Rußland in den Krieg zöge. Das ist usbekischen Staatsbürgern strengstens untersagt. Spätabends kommen wir in Taschkent an.
Unser Taxi hält vor einem völlig unbekannten Gebäude. Wir sagen, das ist nicht unser Ziel. Doch, antwortet der Fahrer. Und laut seinem Navigator hat er recht. Wir haben ihn über Jandex angefordert, so wie sonst auch. Aber dieses Mal stimmt irgendetwas mit der Datenübertragung nicht. Wir steigen aus und laufen Google-Maps hinterher, heute erfolgreich. Nach einem Kilometer stehen wir vor der lutherischen Kirche. Predigerin Ludmilla und Gemeindeleiter Viktor erwarten uns schon – mit besorgter Miene.
Am Freitag waren Vertreter des Justizministeriums zu Überprüfungszwecken in der Kirche. Dabei sagten sie auch, es gäbe jetzt ein neues Gesetz, nach dem müßten ausländische Vertreter religiöser Gemeinschaften ihre Ankunft im Land beim Ministerium 20 Tage im Voraus anzeigen, Kopien vom Reisepaß und den theologischen Examen wären beim Antrag auf Betätigung miteinzureichen. Also lieber kein Risiko eingehen, lieber nur ein Grußwort im Jackett statt eine Predigt im Talar halten. Schließlich laufen die ganze Zeit Überwachungskameras.
Der Gottesdienst beginnt um 10 Uhr, eine Umstellung auf Winterzeit gibt es nicht. Es wird durchgehend zweisprachig gefeiert, alles erst auf Deutsch, dann die Wiederholung auf Russisch. Nur auf Russisch erfolgt die Predigt. Deutsch sprechen und verstehen hier die wenigsten. Wobei auch für uns das vom Blatt abgelesene Deutsch nur schwer verständlich ist. Wie angekündigt, kamen Boschafter Huterer und Frau ebenfalls in die Kirche.
Ludmilla predigt über die Heilung am Teich Bethesda, Johannes 5. Dann sagen wir unser Grußwort, zweisprachig, grüßen vom GAW und lassen Gedanken aus der geplanten Predigt wenigstens anklingen. Der Botschafter sagt seinerseits auf Russisch ermunternde Worte und erzählt von seiner eigenen katholischen Prägung. Der Gottesdienst wird mit dem Großen Kirchengebet abgeschlossen, laut hiesigem Gesangbuch von Martin Luthers 1528 verfasst, aber ein Gebet, das Stefan und ich von zwar früheren Taschkent-Besuchen her kennen, das uns ansonsten aber nie begegnet ist.
Bei Tee, Kaffee und Torte ist anschließend Gelegenheit zum Gespräch. Dazu bleibt auch eine junge Frau aus Rußland, die – wie sie sagt – mit Gewinn den Gottesdienst mitgefeiert hat. Sie studiert Philosophie, kennt Schleiermacher und Tillich, mit dem Rektor des theologischen Seminars in St. Petersburg steht sie im Kontakt. Die Gleichheit von Mann und Frau nimmt sie für den Protestantismus ein. Welch ein Lichtblick, wenn auch nicht für die Taschkenter Gemeinde. Den stellt dagegen ein auch noch jüngerer Mann dar, der aus freien Stücken die Social Media Auftritte der Gemeinde betreut. Ohne irgendwelche deutsche Wurzeln, ist er ganz einfach von der Sache begeistert. Und – große Ausnahme in der Gemeinde – er beherrscht auch das Usbekische. So könnte die Zukunft aussehen.
Nach dem Gottesdienst interessieren sich der Boschafter und seine Frau noch für den baulichen Zustand der Kirche, sie schauen sich die offensichtlichen Schäden an. Manfred Huterer will überlegen, ob es Hilfsmöglichkeiten seitens der BRD gibt. Ein eigentlich für den Nachmittag geplantes Treffen mit den Schreiner in Sachen Fenstereinbau verschiebt dieser einstweilen auf morgen.
Exkurs von Stefan:
Heute Morgen fiel Achim auf, dass sein Fotoapparat nicht mehr da ist. Das letzte Mal, wo wir ihn bewusst gesehen hatten, war im Auto von Fergana zum Bahnhof in Margilan. Ich habe daher zunächst den Fahrer kontaktiert, der aber in seinem Auto keinen Fotoapparat gefunden hatte.
Nach intensivem Nachdenken kam uns der Gedanke, dass der Fotoapparat bei der Sicherheitskontrolle am Bahnhof in Margilan im Durchleuchtungsgerät hängen geblieben sein könnte.
Wir baten daher die Gemeindevorsteherin der Ferganaer Gemeinde, zum Bahnhof in Margilan zu fahren und sich dort zu erkundigen. Parallel dazu suchte ich den Bahnhof in Taschkent auf, weil wir nicht ausschließen konnten, dass er auch auf dem Weg nach Taschkent verloren gegangen war. Nach einigen ergebnislosen Gesprächen mit Mitarbeitern des Taschkenter Bahnhof traf ich schließlich auf den Direktor des Taschkenter Bahnhofs. Er versicherte mir, alles dafür zu tun, dass wir die Kamera wiederbekommen. Er fotografierte mich und ein Bild von Achim, das ich dabei
hatte, und schickte diese Fotos an den Direktor des Bahnhofs in Margilan. Dort wurden mittels Gesichtserkennungssoftware alle Aufnahmen aus den Überwachungskameras des Margilaner Bahnhofs herausgesucht, die dann häppchenweise auf dem Handy des Taschkenter Direktors eintrafen. Man konnte sehen, wie wir aus dem Auto ausgestiegen waren, durch die Sicherheitskontrolle gegangen sind, im Wartesaal saßen, am Bahnsteig auf den Zug warteten und schließlich in den Zug einstiegen - überall war die Kamera noch dabei.
Dann orderte er die Aufnahmen der Überwachungskameras am Taschkenter Bahnhof bei unserem Aussteigen aus dem Zug. Die waren leider nicht so scharf, so dass sich nicht erkennen ließ, ob Achim da die Kamera noch hatte.
Er versprach mir, sich weiter mit der Suche zu beschäftigen und herauszufinden, ob das Reinigungspersonal am Abend vielleicht die Kamera gefunden hatte. Er bat mich um unsere usbekische Telefonnummer, unter der er mich anrufen wollte.
Zugleich empfahl er mir, die Transportpolizei aufzusuchen und dort eine Verlustanzeige aufzugeben. Das tat ich dann auch, indem ich die ganze Geschichte nochmals erzählte und wieder unsere Telefonnummer hinterließ.
Danach fuhr ich mit dem Bus ins Hotel zurück. Dort angekommen rief bereits der Direktor des Taschkenter Bahnhofs mit der erfreulichen Nachricht an, dass das Reinigungspersonal die Kamera tatsächlich gefunden habe und sie im Depot liege. Dort könnte man sie abholen. Allerdings würde man mich dort nicht hineinlassen, so dass ich ihn morgen anrufen soll, damit wir sie gemeinsam abholen können.
Kaum war dieser Anruf beendet, kam der nächste – von der Transportpolizei. Diese teilte mir mit, die Kamera sei gefunden worden und befände sich im Depot.
Obgleich das Ganze eine mehrstündige Aktion war, so erfüllt mich doch mit Staunen, wie erfolgreich es schließlich war. So nützlich in diesem Falle auch die vielen Überwachungskameras waren, so nachdenklich macht mich doch, wie lückenlos man mittels Gesichtserkennungs-Software die Wege von Menschen nachvollziehen kann.
„Das neue Usbekistan. Land des Friedens, des Humanismus und der Toleranz“. So Titel und Untertitel eines großformatigen Bildbands, der in bislang jeder besuchten Minderheitenorganisation, die wir besucht haben, präsentiert wird. Eine aufwendig produzierte Veröffentlichung, in der fröhliche Kurzportraits der nationalen und der religiösen Minderheiten versammelt sind. Und alle gruppieren sich um den Staatspräsidenten, der ihr Wohlergehen fördert. So stellt sich Usbekistan dar, so will es gerne wahrgenommen werden.
Heute sehen wir den Band unübersehbar platziert im Besprechungszimmer des katholischen Bischofs Jerzy Maculewicz OFMConv. Wie schon bei früheren Besuchen empfängt er uns sehr herzlich und erzählt vom Leben seiner Diözese, von dem, was ist, und von dem, was werden soll.
In Taschkent wird Gottesdienst auf Russisch, Englisch und Koreanisch gefeiert, 150-200 Besucher bei den beiden ersten Sprachen, 80 bei Koreanisch. Ein Meßformular auf Usbekisch gibt es noch nicht, es ist in der Entwicklung. In den kleineren Gemeinden im Land, dort, wo die Bedeutung des Russischen sehr zurückgegangen ist, wird allerding zum Teil auch jetzt schon das Usbekische verwendet. Nächsten Monat weiht der Bischof einen jungen Mann zum Priester, der usbekischer Nationalität ist.
Die Kirchen sind möglichst oft geöffnet, immer wieder kommt es vor, daß Besucher sich auch für den Glauben interessieren, letzten Ostern hat der Bischof elf Erwachsene getauft.
Zum englischen Gottesdienst kommen, so hieß es auch schon vor zwei Jahren, vieler Inder, die hier Medizin studieren, weil das in Usbekistan billiger ist, als in der Heimat. Insbesondere Studentinnen sind interessiert. Sie nehmen fürs Studium einen Kredit auf, machen Examen und steigern damit ihnen Marktwert bei der Brautschau. Mit dem, was sie so an Mehrwert erlösen, zahlen sie den Kredit zurück.
Es gibt medizinische Zentren für Inder in Taschkent, in denen Patienten auf Operationen in Indien vorbereitet erden - diese sind dort günstiger als hier, es lohnt sich also auch in diese Richtung. Außerdem kommen zum englischen Gottesdienst viele vom internationalen Botschaftspersonal, finden hier Ansprache und Gemeinschaft. Wir danken dem Bischof dafür, daß er sich um den behinderten Sohn des verstorbenen Ehepaars Wiebe kümmert und besprechen Perspektiven. Wir wissen nicht, wie lange wir die Unterstützung unsererseits durchhalten können. Wir wissen aber auch, daß es für Artur ohne Hilfe aus Deutschland sehr schwer würde. Der Bischof lobt die Toleranz, die offizielle Linie der Usbekischen Politik ist. Auf jeden Fall verabreden wir, in Kontakt zu bleiben, wenn wir wieder einmal im Land sind, werden wir uns erneut sehen.
Ein schwieriger Termin ist dann der um 15 Uhr in unserer Kirche. Predigerin Ludmilla Schmidt und Fensterbauer Anton Fromm, ein Deutschstämmiger, aber ohne jeden Bezug zur Gemeinde, sind gekommen, um unter unserer Vermittlung zu besprechen, wie wir die verfahrene Situation überwinden können.
Die Fensterrahmen und die Fenstergläser stehen rechts und links im hinteren Teil des Kirchenschiffes zum Einbau bereit, allerdings ist der Zustand der Doppelglasscheiben schon jetzt in einem sehr beklagenswerten Zustand. Die bunten Plastikfolien, die zwischen die beiden Scheiben eingeklebt wurden, lösen sich zum Teil bereits jetzt, wie wird es dann erst werden, wenn sie dem Sommersonnenlicht ausgesetzt sind. Aber es hilft nichts – der Fensterbauer ist nicht sehr einsichtig und so einigen wir uns auf Einbau nach vorheriger Berichtigung der gröbsten Fehler. Dabei ist Voraussetzung für den Einbau, daß die Denkmalbehörde zustimmt, ansonsten war alles umsonst. Als wir gehen wollen, stehen drei Studenten vor dem Hoftor und schauen neugierig zur Kirche hin. Sie machen im Rahmen ihrer Ausbildung eine Umfrage zu touristisch interessanten Stätten der Stadt, unsere Kirche ist darunter. Immer wiedermerken wir es: Es gibt Interesse an Kirche und Gemeinde. Es gibt aber niemanden, der darauf reagiert und daraus etwas macht.
Abends fahren wir zum Inlandflughafen, wir wollen einen privat motivierten (und finanzierten) Abstecher nach Nukus machen, der Hauptstadt der autonomen Republik Karakalpakistan im Westen Usbekistans, zu der auch klägliche Reste des Aralsees gehören. Karakalpakistan hat rund 2 Millionen Einwohner, Nukus 312.100 (Stand 2018). Ich sitze im Flugzeug neben einer älteren Dame, einer Karakalpakin, die mächtig stolz auf ihr Land ist. Das habe sogar ein eigenes Wappen und eine eigene Fahne (das weiß in der usbekischen Flagge ist durch gelb ersetzt, sonst alles – außer noch der Anzahl der Sterne beim Halbmond – gleich). Einmal im Monat fliegt die Dame nach Taschkent zu einer ihrer drei Töchter. Pensionäre reisen (Bahn, Bus, Flug) ein Drittel günstiger als andere. Natürlich nur, wenn sie Landeskinder sind. Und: sie war auch schon in Dubai. Fünf Tage, aber immerhin. Früher wäre das kaum möglich gewesen. Als wir landen, sehen wir es: das, was auf Karakalpakisch geschrieben ist, ist ganz anders als das Usbekische.
In Nukus übernachten wir im Hotel Ideal. Viel Chrom und Marmor, wenige Gäste. Unter denen aber ein Chirurg aus der Oldenburger Gegend, der hier zum wiederholten Male als Senior Expert in einem Krankenhaus mitarbeitet. Dort will er westliche Standards nahebringen. Er sagt, die Geräte seien häufig modern, aber viele im Personal wüßten nicht, wie damit umgehen. Bisweilen würde er auch aufs Land fahren, die Situation dort sei sehr prekär, Niveau Zentralafrika.
Wir brechen zum Hauptziel unseres Aufenthalts in Nukus auf, dem „Igor Sawitzkij Staatlichen Kunstmuseum der Republik Karakalpakistan“. Sawitzkij, in Kiew geboren und in Moskau aufgewachsen, studierte Malerei ebenda und ging 1950 nach Karakalpakistan, wo der sich zum leidenschaftlichen Sammler von Kunst und ethnologischen Stücken aller Art entwickelte. Insbesondere den Werken sowjetischer Dissidenten galt sein Interesse und so bewahrte er viele Arbeiten vor der Zerstörung. Inzwischen gehören über 100.000 Exponate zu den Sammlungen, darunter 10.000 Werke aus der Avantgarde. Seit 1966 werden sie (in wechselnden Ausstellungen) in einem eigenen, nach Sawitzkij benannten Museum gezeigt. Wir sehen Bilder und Skulpturen von Wassily Kandinsky, Michael Wrubel, Ljubow Popowa, Wassily Roshdestwenskij und vielen anderen, bei uns oft völlig unbekannten Künstlern. Das gerne mit dem „MOMA der Wüste“ ist sicher übertrieben, aber eine Reise wert ist das Sawitzkij Museum allemal.
Zwei Straßen weiter liegt das „Staatliche Museum der Geschichte und Kultur Karakalpakistans“. Es ist lange nicht so spektakulär und ziemlich schlecht aufbereitet, auch wenn der Anblick einer karakalpakischen Jurte im Eingangsbereich erfreut. Interessant sind drei Gemälde von mittelalterlichen Kriegerinnen, eine Art karakalpakische Amazonen. Die Überlieferung besagt, daß Kyrk Kyz (40 Mädchen), angeführt von der 16jährigen Gulaim, erst gegen die Kalmücken kämpfen und dann Gulaims Schwester Altinay aus der Hand des persischen Schahs befreien. Das geschieht jeweils mit Hilfe des choresmischen Kriegers Arislan, den Gulaim zum Happy End auch heiratet. Beim Anblick der heutigen Frauen in Nukus fällt auf, kaum eine trägt eine Kopfbedeckung. Das ist ganz anders als in Taschkent und Fergana.
Inzwischen haben wir auch gelernt, daß Usbekisch und Karakalpakisch zwei verschiedenen Zweigen der Turksprachen angehören, Usbekisch ist nahe dem Uigurischen, Karakalpakisch dem Kasachischen. 2022 wurden Proteste gegen die damals geplante Abschaffung des Autonomiestatus von Karakalpakistan blutig niedergeschlagen.Nebenbei: wenn das Adjektiv zu Karakalpakistan karakalpakisch ist, wieso ist dann nicht das Adjekviv zu Pakistan pakisch? Es heißt bei Afghanistan ja auch afghanisch und nicht afghanistanisch, bei Turkmenistan turkmenisch usw. Pakistanisch ist genauso wie deutschländisch.
Mit dem Taxi geht es nach Mizdakhan, nahe an der Grenze zu Turkmenistan gelegen. Wir überqueren den Amu-Darja, früher einer der beiden mächtigen Ströme, die den Aral-See speisten. Von hier bis zur einstigen Mündung in den ehemaligen See sind es noch einmal 200 km. Mein Eindruck von der Brücke aus: Hier ist der Amu-Darja etwa doppelt so groß wie die Nidda beim Eintritt in den Main. Das ist natürlich viel zu wenig, um den Aral-See zu retten, es war zwischendurch aber noch schlimmer gewesen, die Wasserverschwendung bei der Bewässerung von Baumwollfeldern war noch hemmungsloser. So schön die Bemühungen Usbekistans (Amu-Darja) und Kasachstans (Syr-Darja) sind, mit dem Wasser besser hauszuhalten: Wenn sich seit dem Ende der Sowjetunion die Bevölkerung alleine Usbekistans von damals 20 auf jetzt 38 Millionen fast verdoppelt hat, dazu die Niederschläge spürbar weniger geworden sind, dann ist die Rettung des Aralsees kaum zu stemmen.
Mizdakhan, das sind über 300 ha alte Nekropolen und aktuell genutzte Friedhöfe in einem wilden Durcheinander. Wenn auch schlecht ausgeschildert, so gelangen wir doch Dank mehrfacher Nachfrage zu der Stelle, an der nach einer örtlichen Überlieferung Adam und Eva bestattet sein sollen. Die Grabstätte ist ziemlich heruntergekommen, es heißt, wenn sie endgültig zusammenbricht, geht die Welt unter. Darum legen Besucher Steine auf kleine Haufen, um somit den Ablauf der sogenannten Apokalyptischen Uhr entgegenzusetzen. Ich glaube nicht, daß das etwas nützt.
Abends in Nukus essen wir im Cake Bumer, wir kennen es schon vom Mittag her. Da hatten wir dort bereits zwei Geburtstagsfeiern miterlebt, jetzt sind es noch einmal vier. Das zahlreiche Personal marschiert jeweils unter den lauten Klängen von Happy Birthday mit wunderkerzenbestückter Torte und weiteren Wunderkerzen in den Händen zum Geburtstagskind, das bläst die Kerzen aus, und das Personal zieht mit Torte (es wird immer wieder dieselbe verwendet) bis zur nächsten Gratulation ab. 20 bis 25 Mal am Tag geht das so, unser Kellner sagt, ihm hänge das ziemlich zum Hals heraus.
Wir gehen zum Hotel, holen die Koffer und fahren zum Flughafen. Um 23:50 Uhr sind wir wieder in Taschkent.
Am Vormittag machen wir letzte Besorgungen, zum Mittagessen und zugleich zum Abschied sind wir bei den Schmidts. Sie bewohnen ein älteres einstöckiges Haus in Nähe zum Flughafen einerseits und zum Nordbahnhof andererseits. Die drei Kinder sind längst erwachsen und ausgezogen, jetzt haben Ludmilla und Viktor viel Platz. Es gibt noch einmal Plov, heute mit Kichererbsen und Rosinen, wieder ziemlich lecker.
Viktor fährt uns zum Hotel, wir fahren mit den Koffern im Taxi weiter zum Flughafen. Als wir bereits an Bord des Airbus 321neo der Turkish Airlines sind, macht die Crew eine Ansage: Sie erinnert anläßlich des heutigen türkischen Nationalfeiertags respektvoll an den Staatsgründer Kemal Atatürk. Die Passagiere klatschen beifällig. Wir verstehen dies als eine subtile Demonstration gegen Staatspräsident Recep Tayyip Erdoğan. Wir klatschen mit. Um 16:25 Uhr startet unser Flugzeug Richtung Istanbul, nachts sind wir in Frankfurt.