Erneute Vertreibung der Armenier
Nur kurze Zeit sorgte die bewaffnete Auseinandersetzung zwischen Aserbaidschan und Armenien im September 2023 für Schlagzeilen in den Medien. Es ging um die Region Bergkarabach. Die Region liegt wie eine Insel im Staatsgebiet von Aserbaidschan. Sie war überwiegend von Armeniern bewohnt. Nach einem Referendum hatte sich die Region 1991 für unabhängig erklärt.
Die Armenier sind eines der ältesten christlichen Völker der Menschheitsgeschichte und haben in ihrer langen Geschichte viel Leidvolles ertragen. Immer wieder waren sie Opfer der umliegenden Mächte. Sie wurden grausam verfolgt (Genozid zu Beginn des 20. Jahrhunderts) und oft vertrieben.
2023 fehlten den Armeniern in Bergkarabach über Monate hinweg ausreichend Lebensmittel, medizinische Güter und Energie. Dem militärischen Großeinsatz Aserbaidschans im Herbst waren sie unterlegen und mehr als 100.000 Armeniern blieb nur die Flucht – sie wurden vertrieben.
Auch wenn so gut wie niemand mehr darüber redet und die Weltöffentlichkeit kaum noch Notiz von den vertriebenen Armeniern nimmt: die Not ist geblieben! Sie brauchen Hilfe. Wir wollen sie nicht vergessen! Wir wollen helfen, Not lindern.
Ihr Jürgen Barth (Vorsitzender)
So ist Familie Baghdasaryan geflohen
Die Armenische Evangelische Kirche hat zahlreiche Flüchtlinge aus Bergkarabach/Arzach aufgenommen und unterstützt sie nach Kräften. Die Menschen haben kaum etwas mitnehmen können und brauchen jetzt Wohnraum, Lebensmittel, Heizkostenhilfen … Die Flucht und Vertreibung von rund 100 000 Armeniern im September dieses Jahres ist angesichts anderer Krisen fast schon vergessen.
Auch Familie Baghdasaryan muss von vorne beginnen:
„Mein Name ist Eric Baghdasaryan. Ich komme aus Arzach. Meine Frau und ich haben dort am 9. Juni 2012 in der Evangelischen Kirche von Armenien geheiratet. Wir arbeiteten, kauften unsere kleine Wohnung und waren aktiv in unserer schönen Kirche. Gott hat unsere Familie mit drei Kindern gesegnet.
Unser normales Leben wurde durch den Krieg von 2020 unterbrochen. Unser Haus wurde während des Krieges beschädigt. Ich musste meine Familie nach Armenien in Sicherheit schicken.
Nach 44 Tagen war der Krieg zu Ende und meine Familie kehrte sofort zurück. Wir versuchten unser verwundetes Arzach wiederaufzubauen. Bei der Firma "Arzachenergo" arbeiteten wir Tag und Nacht, um das beschädigte Stromnetz wiederherzustellen.
Das Jahr 2023 begann mit einer Blockade, unterbrochener Gasversorgung, Stromabschaltungen, leeren Geschäften. Ein Lichtstrahl in dieser kalten Ungewissheit war die Geburt unseres dritten Kindes, Mari. Sie gab uns neue Kraft zum Kämpfen. Doch die Situation verschlechterte sich weiter ... Morgens fuhr ich mit dem Fahrrad durch die Stadt, in der Hoffnung, Lebensmittel für meine Familie zu finden. Ich spürte, dass alles sehr schlimm enden könnte, aber leider konnte ich nichts tun.
Am 19. September 2023 hörte ich auf Arbeit von Spannungen an der Grenze. Ein paar Minuten später fing die Bombardierung der Stadt an. Es war grauenhaft. Überall Tod, Blut, Terror.
Was konnte ich als Familienvater denken, als der Feind bereits die Stadt erreicht hatte und es keinen Ausweg mehr gab? Alles, was mir blieb, war zu beten und zu glauben, dass es für Gott immer einen Weg gibt. Am nächsten Tag wurde ein Waffenstillstand unterzeichnet. Aber der Feind feuerte weiter.
Bis zum 25. September zog ich mit meiner Familie, meinen Eltern, den Eltern meiner Frau, Familien meiner Freunde, meines Bruders und meiner Schwester von einem Unterschlupf zum anderen und versuchte, sie zu retten.
Am Nachmittag des 25. September wurden wir gezwungen, unsere Heimat zu verlassen. Wir fuhren mit sieben Autos und es gab bereits einen großen Stau. Es regnete. Plötzlich donnerte es am Himmel. Eine laute Explosion war zu hören. Es war ein riesiger Benzintank. Wenig später war die Straße voll mit verbrannten, nackten Menschen, die schreiend in Richtung Krankenhaus rannten. Einer von ihnen bat um Wasser, ich gab es ihm ... aber er hatte keine Lippen, um zu trinken ... Und all das geschah vor den Augen der Kinder.
Nach einer Nacht im Auto erreichten wir die Stadt Shushi. Als ich am Morgen aus dem Auto stieg, lächelte meine sechs Monate alte Tochter. Wir sahen ihren ersten Zahn.
Am Morgen des 27. September überquerten wir die Grenze und kamen im südlichen Teil Armeniens an. Hinter uns lag unser ganzes Leben, vor uns eine dunkle Ungewissheit.
In der Stadt Goris wurden wir von der armenischen Armee empfangen, sie nahmen uns herzlich auf, gaben uns zu essen und wir konnten unsere Reise fortsetzen. Die Familien meiner Eltern und Verwandten wurden im Camp „Shoghik“ in Hankavan untergebracht. Meine Familie fand eine Unterkunft in der evangelischen Gemeinde in Armavir.
Wir sind mit allen notwendigen Dingen zum Leben ausgestattet. Ich danke Gott, der Kirche und allen Organisationen, die uns in dieser schwierigen Zeit unterstützen.“