Ungarn: Regierung beruft einen Ausschuss für das Reformationsjubiläum

(Quelle: http://www.protestantnews.eu/) Alle ein einem Tisch. Das scheint das Motto der zahlreichen Ausschüsse zu sein, die die ungarische Regierung zu unterschiedlichsten Themen beruft. Seit kurzem hat nun auch ein Ausschuss zum Reformationsjubiläum seine Arbeit aufgenommen.

Ob es besser wäre, dass Kirche und Staat gemeinsam das Reformationsjubiläum vorbereiten, darüber machte sich Ministerpräsident Viktor Orbán persönlich und auch mit der ungarischen Regierung viele Gedanken. Ein Blick auf andere, von der Reformation geprägten europäischen Ländern zeigte, dass es – wie so oft in Europa – alle möglichen Varianten zu finden sind. So beschloss die Regierung auf Anregung eines Anschreibens des leitenden lutherischen Bischofs Peter Gáncs und des reformierten Bischofs Gusztáv Bölcskei am 23. Januar 2014 einen Reformationsgedenkausschuss ins Leben zu rufen. Der Ausschuss soll ermöglichen, dass Kirche und Staat gemeinsam die Festlichkeiten des Reformationsjubiläums 2017 auf angemessener Art und Weise begehen.

Die praktische Umsetzung und Koordination unterliegt Károly Hafenscher, geistlicher Vorsitzender der Landessynode der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Ungarn, der als Sonderbeauftragter des Ministers eingesetzt wurde. Die operative Leitung führt Minister Zoltán Balog. Im Plenum nehmen Spitzenvertreter der Katholischen Kirche (Regionalbischof Lajos Pápai), der Baptistischen Kirche (Kirchenpräsident János Papp), des Ökumenischen Rates (Vilmos Fischl), der Lutherischen Kirche (leitdener Bischof Péter Gáncs und Bischof Tamás Fabiny), der Reformierten Kirche (drei Vertreter) und Delegierte der Ungarischen Wissenschaftlichen Akademie teil. Dazu kommen Vertreter der Deutschen, Holländischen und Schweizerischen Botschaft.

In einem Interview erklärt Károly Hafenscher, wie er seine Aufgabe als Vermittler zwischen Kirchen und Staat umzusetzen gedenkt.

Als Sonderbeauftragter des Ministers wurden Sie mit einer umfangreichen Aufgabe betraut. Wie planen Sie diese umzusetzen und wie wollen Sie dies in den kirchlichen Kreisen entfalten?

In meiner Position als Sonderbeauftragter darf ich Teil eines überaus spannenden Prozesses sein, der quasi aus dem Gedenken eine Erneuerung schaffen möchte. Bei der Gründungssitzung formulierte es der Ministerpräsident wie folgt: „Die globale und regionale Krise kann nicht allein durch wirtschaftliche Entscheidungen gelöst werden, sondern es bedarf auch einer geistlichen Erneuerung.“ Diesen Satz möchte ich gerne verwirklichen, in dem ich ihn in der Kirche und in der Gesellschaft insofern umsetze, dass während wir unsere Zukunft bauen uns unserer Wurzeln bewusst sind, also zukunftsorientiert arbeiten. Selbstverständlich hat unsere Arbeit auch einen festlichen Aspekt, denn wir bereiten die Festivitäten für das Jubiläumsjahr 2017 vor. Mindestens genauso wichtig wie die Festlichkeiten ist es bis dahin zahlreiche Veranstaltungen, Programme und Publikationen zu veröffentlichen, die mit den Werten der Vergangenheit vertraut machen und gleichzeitig diese erhalten, aber auch neue, heute gültige Werte schaffen. Die Kraft, die von der Reformation ausging und durch die die Werte entstanden, ist kein Relikt der Vergangenheit, sondern eine Eigenschaft der Gegenwart und der Zukunft.

Die Arbeit des Ausschusses soll von insgesamt vier Arbeitsgruppen unterstützt werden, mit denen wir in kulturellen, wissenschaftlichen, religiösen und strategischen Bereichen zusammenarbeiten. In diesen Arbeitsgruppen delegieren unter anderen auch die Kirchen ihre Vertreter. Derzeit befinden wir uns in der Findungsphase, beim Ideensammeln und Zusammentragen der Vorstellungen. Dies geschieht in enger Zusammenarbeit mit den kirchlichen Vertretern und Expertenteams. Danach möchten wir in gemeinsamer Arbeit das Erhalten, das Formen und das Schaffen der Werte im Zeichen der Reformation erarbeiten.

Es ist uns ein wichtiges Anliegen darzustellen, dass es sich hier nicht nur um ein rein kirchliches Thema handelt, sondern auch um eine für die Gesellschaft, ja sogar für ganz Europa wichtige Sache geht: die Möglichkeit der Erneuerung.

Welche Kirchen sollen oder wurden bereits in das Programm einbezogen?

Da der Ausschuss auf Anregung der zwei „großen“ protestantischen Kirchen hin gegründet wurde, ist es ganz selbstverständlich, dass beide Kirchen nicht nur als aufmerksamer Beobachter fungieren möchten, sondern auch bei der Vorbereitung und Ausführung der Festlichkeiten eingebunden sein möchten. Kleinere protestantische Kirchen sind im Ausschuss durch den Vorsitzenden der Baptisten und den Sekretär des Ungarischen Ökumenischen Rates vertreten. Ein eingespieltes und achtsames Miteinander ermöglicht ein fruchtbares Miteinander. Außerdem ist es uns eine große Freude, dass im Ausschuss und im Expertenteam ein Vertreter der Ungarischen Katholischen Kirche dabei ist. Das 500. Jubiläum bietet Christen weltweit hoffentlich die Chance – nachdem kirchengeschichtlich die Lehre aus Geschehenem gezogen wurde – nun in versöhnter Verschiedenheit für einander und für andere zu leben und ein Zeugnis über Gottes lebensspendende, erhaltende und zielführende Liebe zu geben. In diesem Sinne haben der Ausschuss und auch meine Position als Sonderbeauftragter eine Brücken bauende Funktion.

Worauf legen Sie bei der Arbeit im Ausschuss den Schwerpunkt?

Am wichtigsten ist es meiner Meinung nach zu zeigen, dass die Reformation auch heute noch unser Leben, unser Denken, sowie unsere zwischenmenschliche Beziehungen bestimmt und dadurch auch unser Verhältnis zu den relevanten Lebensfragen und zu unserem Glauben an Gott beeinflusst. Die uns geschenkten Schätze heißt es zu bewahren, in dem wir sie weitergeben und dazu neue Werte schaffen. Darum ist es wesentlich, dass neben den Kirchen die breite Gesellschaft, die Wissenschaft und herausragende Vertreter der Künstlerwelt in großem Maße an der Umsetzung teilnehmen. Nur so können die aus- und neu formulierte Botschaften an eine breite Masse weitergegeben werden: Was bedeutet es zu glauben? Was ist Glaubensgerechtigkeit? Was bedeutet es aus Gnade zu leben? Was ist protestantische Arbeitsethik? Wie sehen protestantische Lebensformen in Familien aus? Was ist unter protestantischer Wirtschaftsethik zu verstehen? Was bedeutet die Reformation für Bildung, Erziehung und bezüglich der Bereitschaft Verantwortung zu übernehmen? Es gilt aus der Reformation heraus wiederentdeckte Werte ganz neu zu entdecken, zu verstehen, zu leben und
weiterzugeben.

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