Polen: Präsidentschaftswahl spaltet die Bürger

In Polen soll der Modus der für den 10. Mai 2020 geplanten Präsidentschaftswahl aufgrund der Corona-Pandemie kurzfristig geändert werden. Nach dem Willen der Regierung soll die Wahl nun ausschließlich als Briefwahl stattfinden. Die Opposition verlangt dagegen eine Verschiebung, weil ein fairer Wahlkampf unter Bedingungen des Versammlungsverbots nicht möglich sei. Die Verfassung würde im Fall von Naturkatastrophen eine Verschiebung von Wahlen um bis zu 90 Tage erlauben. Die Regierungspartei PiS möchte jedoch ihre derzeit hohen Umfragewerte nutzen, damit der amtierende Präsident Andrzej Duda wiedergewählt wird.

In einem offenen Brief teilten mehrere frühere polnische Staats- und Regierungschefs mit, an der Abstimmung nicht teilzunehmen, und riefen auch andere Wahlberechtigte zum Boykott auf. Am 6. Mai soll das Parlament über die entsprechende Änderung des Wahlrechts abstimmen – vier Tage vor der Wahl. Der Senat, die zweite Kammer des Parlaments in Warschau, hat vor wenigen Tagen die umstrittene Änderung des Wahlrechts abgelehnt.

In einem Blogeintrag vom 1. Mai mahnt der Leitende Bischof der Evangelisch-Augsburgischen Kirche Jerzy Samiec dazu, die Wahlregeln einzuhalten: „Man darf die Regeln demokratischer Wahlen nicht verbiegen oder brechen. Man darf die Regeln für die Durchführung von Wahlen während eines laufenden Wahlprozesses nicht ändern. Die Verletzung des Gesetzes im Namen ‚außergewöhnlicher Bedingungen‘ wird die Versuchung hervorrufen, in Zukunft ein ähnliches Verhalten zuzulassen.“

Nach der Rechtsprechung des Verfassungsgerichts dürfen die Wahlbestimmungen nicht später als sechs Monate vor der Wahl geändert werden. In aktuellem Fall wurden sie jedoch kurzfristig geändert, was dazu führen würde, dass eine große Gruppe von Bürgern, nämlich Personen mit Wohnsitz im Ausland, nicht wählen können.

Bischof Samiec schreibt: „Mein Ziel ist es, darauf aufmerksam zu machen, dass wir […] auf einen wachsenden Konflikt zusteuern, dem die Bürger zum Opfer fallen. Es ist nicht hinnehmbar, dass der Wahltag, bei dem es sich um einen Feiertag der Demokratie handelt, in einen Krieg verwandelt wird, in dem Druck ausgeübt wird, und dass Wähler und Beamte vor der Wahl stehen, das Gesetz anzuwenden oder Entscheidungen der Verwaltungsbehörden umzusetzen.“ Der Bischof schließt seinen Blogbeitrag mit der Hoffnung, „dass sich der gesunde Menschenverstand und die polnische Verfassung irgendwann durchsetzen werden“.

(Übersetzung aus dem Polnischen: Pfarrerin Anja-Désirée Lipponer)

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