Deutschland: Friedensethische Impulse aus der Ukraine, Polen und Deutschland

Von links nach rechts: Sándor Zán Fábián, Renke Brahms, Dr. Martin Dutzmann, Marcin Makula

Vom 17. bis 19. September 2023 findet in Neustadt an der Weinstraße die bundesweite Delegiertenversammlung des Gustav-Adolf-Werks (GAW) statt.

Ein besonderer thematischer Schwerpunkt war am 18. September die Diskussion „Friedensethische Impulse zum Ukrainekrieg aus osteuropäischer und deutscher Perspektive“, an der Bischof Sándor Zán Fábián (Reformierte Kirche in Transkarpatien, Ukraine), Militärbischof Marcin Makula (Evangelisch-Augsburgische Kirche in Polen) und Pfarrer Renke Brahms (2008-2021 Friedensbeauftragter der EKD, Deutschland) teilnahmen.

Bischof Sándor Zán Fábián aus der Ukraine berichtete über die aktuelle Lage seiner Kirche. Seit dem 24. Februar 2022 sind alle Pfarrer der 110 Gemeinden im Land geblieben. Die Kirche nahm Flüchtlinge aus allen Teilen des Landes in ihren Gemeindehäusern, Altenheimen, Schulen und Kindergärten auf. Zán Fábian: „Zum ersten Mal gab es in unserer ungarischsprachigen Kirche Gottesdienste und Bibelstunden auf Ukrainisch. Die Geflüchteten waren beeindruckt von unserer Gastfreundschaft. In der ukrainischen Mehrheit gab es lange Jahre Vorbehalte gegen die ungarische Minderheit.“

Auch Männer aus den Gemeinden der Kirche kämpfen im Krieg. „In jeder Gemeinde gibt es inzwischen Witwen und Waisen“, berichtete Zán Fabian und wies auf die schwierige Situation der Kirche als ungarische Minderheit in der Ukraine hin: „Wir als Ungarn wollen nicht sterben, wir wollen Frieden. Im Moment ist es schwierig, in der Ukraine über Frieden zu sprechen. Ich denke, dass wir gegen eine Atommacht nicht siegen können. Der Westen hat noch viele Waffen und wir noch viele wehrfähige Menschen. Deshalb müssen wir eine Lösung suchen.“

Auch über die schwierigen Beziehungen seiner Kirche zu Russland berichtete der Bischof: „Ich bin gegen Russland und gegen den Angriffskrieg, den Putin gegen die Ukraine führt. Wir haben die sowjetische Okkupation erlebt. Viele Millionen Menschen sind in den stalinistischen Lagern gestorben. Auch Mitglieder meiner Familie. Wir schätzen deshalb das Leben höher als die Freiheit. Freiheit erscheint uns als Ideologie, denn wir haben sie noch nicht erlebt.“

Militärbischof Marcin Makula aus Polen verwies ebenfalls auf die historischen Erfahrungen seines Landes: „Wir haben erlebt, wie unser Land von Deutschland und Russland in geheimen Verträgen aufgeteilt und anschließend angegriffen und zerstört wurde. Das hat große Wunden in unserem kollektiven Gedächtnis hinterlassen. Mit Hitler oder Stalin konnte man nicht über Frieden reden – und Putin ist ein Stalin der heutigen Zeit.

Nach dem Zweiten Weltkrieg hat es Jahrzehnte gedauert, bis der Versöhnungsprozess mit Deutschland begann und die deutsche Regierung Verantwortung für die nationalsozialistischen Verbrechen an uns Polen übernahm. Russland aber hat sich bis heute nicht entschuldigt.

Polen hat viel Land verloren und hat immer wieder für seine Freiheit gekämpft. Für uns ist die Freiheit im Zweifel wichtiger als das Leben. Ich bin der Meinung, dass wir Putin stoppen müssen, und sei es mit Waffengewalt und unter Einsatz unseres Lebens. Auch Jesus Christus hat sein Blut vergossen, um uns Menschen von der Macht der Sünde zu befreien.

In Russland können wir momentan mit niemandem reden: Mit Putin können wir nicht reden und eine kritische Opposition gibt es nicht mehr.“

Renke Brahms (Deutschland) sprach aus der Perspektive der evangelischen Friedensethik: „In der Friedensarbeit in Deutschland haben wir zu lange Zeit nur in andere Weltgegenden geschaut – nach Afghanistan, Irak, Mali und Syrien –, aber nicht in den Osten Europas. Über das, was Russland auf der Krim, in Tschetschenien und in Georgien getan hat, haben wir zu wenig geredet. Das sage ich ganz selbstkritisch.“ Brahms unterstrich, dass er angesichts des massiven Bruchs des Völkerrechts durch Russland Waffenlieferungen an die Ukraine für ihre Selbstverteidigung für geboten halte, dass man jedoch nicht nur in den Kategorien von Sieg und Niederlage denke dürfe.

Brahms kritisierte den Einsatz von Streubomben durch die Ukraine und den Umgang mit Kriegsdienstverweigerern und Pazifisten, die mit Hausarrest und Gefängnis bestraft würden. Das Recht auf Kriegsdienstverweigerung sei für ihn ein wichtiges Menschenrecht.

Brahms: „So lange es noch möglich ist, dürfen wir die Gesprächsfäden zur Russisch-Orthodoxen Kirche Moskauer Patriarchats nicht abreißen lassen. Wir dürfen nie den Frieden aus dem Blick verlieren, auch wenn er uns im Moment unmöglich erscheint.“

Zum Abschluss resümierte GAW-Präsident Prälat Dr. Martin Dutzmann, dass wir in Deutschland den Kirchen in Osteuropa zuhören müssen: „Wir haben tatsächlich zu wenig in den Osten Europas geschaut. Wir haben geglaubt, dass wir schon alles wüssten. Wir sollten den Kirchen in Osteuropa zuhören und sie fragen, welche Perspektiven sie haben, von denen wir lernen können und müssen. Dabei kann uns das GAW mit seinen guten und vertrauensvollen Beziehungen zu den Partnerkirchen helfen.“

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