Chile: Das Verfassungsreferendum wird zur politischen Richtungsentscheidung

Ein Wasserwerfer vor dem Präsidentenpalast in Santiago de Chile während der Demonstrationen 2019. Foto: By José Miguel Cordero Carvacho, CC BY-SA 4.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=92844292

Am Sonntag, dem 25. Oktober 2020, findet in Chile ein Referendum über eine mögliche neue Verfassung statt. Diese soll die aktuelle Verfassung, die noch aus der Zeit Pinochets stammt, ablösen. Eine neue Verfassung war eine der Kernforderungen der Demonstrationen, die vor einem Jahr, am 18. Oktober 2019 begannen und monatelang andauerten.

Ja oder Nein zur neuen Verfassung

Izani Bruch, Bischöfin der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Chile (IELCH) hat in einem Pastoralbrief die Kirchenmitglieder dazu aufgerufen, sich an der Abstimmung zu beteiligen: „Wir alle haben aus unserem Glauben die Verantwortung, die verschiedenen Prozesse und politischen Vorschläge zu erkennen, und die Gewissensfreiheit, an diesem historischen Prozess in Chile teilzunehmen.“ Auf ihrer Facebookseite hat sie sich dazu bekannt, mit einem Ja zur neuen Verfassung abstimmen zu wollen. Für diese Parteinahme wurde sie im Kommentarbereich wiederum heftig angefeindet. Das ist symptomatisch für die stark polarisierte chilenische Gesellschaft. Die Anhänger der modifizierten alten Verfassung befürchten, dass die neue Verfassung das Land in Richtung einer linken Diktatur treiben könnte.

Entfremdete Eliten

Professor Daniel Godoy, Rektor der Evangelisch-Theologischen Hochschule in Chile, weist darauf hin, dass die traditionellen Akteure der chilenischen Politik es lange Zeit verpasst hätten, mit der Zivilgesellschaft in einen Dialog zu treten: „Es ist gibt eine offensichtliche Distanz und Unverständnis über das, was derzeit im ganzen Land geschieht.“ Im Umgang mit der heftigen Krise und den Demonstrationen im Land hatte die Regierung in erster Linie auf Polizeigewalt gesetzt. Mehr als 30 Menschen kamen ums Leben, als im Oktober und November 2019 Tausende Menschen täglich auf die Straße gingen. Neben einer neuen Verfassung forderten die Demonstranten ein gerechteres Rentenmodell, einen besseren Zugang zu Gesundheitsversorgung und Bildung sowie eine Abkehr vom neoliberalen Wirtschaftssystem. Ohne diese „soziale Explosion“ wäre der aktuelle Verfassungsprozess wohl nicht möglich gewesen.

Jahrestag der Demonstrationen und neue Gewalt

Am Jahrestag dieser Proteste, am 18. Oktober 2020, fanden zahlreiche Diskussionsveranstaltungen, Märsche sowie Versammlungen statt. Am Ende des Tages kam es leider erneut auch zu gewalttätigen, zerstörerischen Aktionen. Unter anderem wurden zwei Kirchen geplündert und angezündet. Eine davon, die katholische Kirche „Parroquia de la Asunción“, ist eine der ältesten Kirchen in Santiago. Angesichts dieses Vandalismus wandten sich der Bischof der Lutherischen Kirche in Chile (ILCH), Pfarrer Alexis Salgado, und der Präsident der Kirche, Walter Dümmer, im Namen der lutherischen Gemeinschaft mit einer Solidaritätsadresse an den Erzbischof von Santiago und an die katholische Gemeinde: „Heute leiden die gesamte Kirche und wir unter dem Hass und der Gewalt, die sich nicht wiederholen sollten. Wir beten zu Gott und rufen unser Volk dazu auf, sich nicht von den Mächten des Bösen beeinflussen oder mitreißen zu lassen. Unser Auftrag mögen Frieden und Versöhnung sein, damit wir uns in allen heutigen Fragen nicht als Feinde betrachten, sondern als Menschen, die das Beste für unser Land wollen, unabhängig vom politischen Spektrum unserer Visionen.“

Hoffnung auf einen guten Weg

Wenn sich bei dem Referendum am 25. Oktober die Befürworter einer neuen Verfassung durchsetzen, soll eine Verfassunggebende Versammlung einberufen werden. Diese erarbeitet in einem etwa zweijähren Prozess die neue Verfassung. Mit diesem Prozess sollte Chile dringend auch die Chance nutzen, die historische Schuld zu begleichen und die legitimen Rechte der in der Gesellschaft an den Rand gedrängten Ureinwohner wie die Mapuche in der Verfassung zu verankern.

„Wir vertrauen darauf, dass es eine sehr gute Teilnahme am Referendum geben wird und dass das Ergebnis das Beste für unser Land sein wird“, hofft Professor Daniel Godoy von der Evangelisch-Theologischen Hochschule. „Wir laden Sie ein, im Gebet zu bleiben und unser Volk und seine Institutionen auf dem Weg zum Guten zu begleiten.“

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