Studienreise für Frauen nach Straßburg

Foto: Ulrike Combe - von Nathusius

Studienreise für Frauen nach Straßburg vom 5. bis 9. Oktober 2019

Grenzen sind dazu da, um sie zu überschreiten – ein Satz, der wie ein Leitfaden die Studienreise der GA-Frauenarbeit Kurhessen-Waldeck umschreibt. Unterschiedliche ‚Grenzüberschreitungen' lernen wir während des fünftägigen Aufenthaltes kennen.

Da ist zunächst einmal die Grenze zwischen den Ländern Deutschland und Frankreich. Der Blick in die gemeinsame Geschichte dieser beiden Nachbarn ist wie ein Buch mit hellen und dunklen Kapiteln einer wechselvollen Geschichte. Während eines ersten Stadtrundganges hören wir, wie sich das Elsass immer wieder von Tiefschlägen der Geschichte erholt, welche besondere Rolle die Stadt Straßburg dabei gespielt hat und welche sie bis heute spielt. Grenzen sind dazu da, um sie zu überschreiten – Pfarrer Marc Seiwert von der Kirchenleitung der Union Protestantischer Kirchen Elsass und Lothringen prägt in einem Gespräch diesen eindrücklichen Satz. Erst im Jahr 2006 haben die lutherische und die reformierte Kirche im Elsass ihre Trennung aufgehoben, die seit der Reformbewegung im 16. Jahrhundert bestanden hat und bilden seitdem die „Union Protestantischer Kirchen Elsass und Lothringen": UEPAL. Nach dem Blick in die Geschichte entwickelt Pfarrer Seiwert ein Bild, wie Kirche bei veränderten Gegebenheiten ihrem Auftrag gerecht werden kann. Grenzen sind dazu da, um sie zu überschreiten – das praktiziert die UEPAL nach innen und außen. Ein schönes Beispiel sind grenzüberschreitende Aktionen, von denen Pfarrer Seiwert spricht. Sie spielen in den Gemeinden der UEPAL eine wichtige Rolle. Es gibt eine Normalität des Alltags, wenn Chöre aus verschiedenen Gemeinden und Kirchen diesseits und jenseits der Grenze gemeinsame Konzerte veranstalten. Elsass-Lothringen hat sich schon immer als ein Land zwischen verschiedenen Staaten verstanden und eine Rolle als Brückenbauer ausgeführt. Seitdem Straßburg Sitz des Europaparlamentes und weiterer europäischer Einrichtungen ist, haben sich verschiedene Konfessionen angesiedelt. Der „Rat der Evangelischen Kirchen in Straßburg" spiegelt die veränderte konfessionelle Landschaft wieder. Dieser Rat ist auch zuständig für Kontakte mit der Ökumene vor Ort. Ein grenzüberschreitendes Projekt stellt die ‚Kapelle der Begegnung' im Hafengebiet /Port du Rhin-Strasbourg dar. Das Kirchengebäude aus dem Jahr 1947 bedarf einer gründlichen Sanierung, um protestantische Gottesdienste und Veranstaltungen im schnell wachsenden Stadtteil durchführen zu können. Dieses deutsch-französische Projekt wird von der Evangelischen Landeskirche Baden und der UEPAL getragen. Zur Unterstützung der Renovierungsarbeiten hat auch das GAW finanzielle Mittel zugesagt.

Grenzüberschreitungen einer ganz anderen Art haben Menschen gemacht, die ihre Heimat manchmal unter Lebensgefahr verlassen mussten und in Frankreich gestrandet sind. Für viele Menschen ist das evangelische Haus der Solidarität in der Rue Brulee in Straßburg Anlaufstelle und Rettungsanker. Das ‚Projekt CASAS' hilft Flüchtlingen, Heimatlosen und Migranten auf unterschiedlichste Weise. Fünf hauptamtliche Angestellte dieser Einrichtung werden von rund zweihundertfünfzig Ehrenamtlichen in ihrer sozial-diakonischen Arbeit unterstützt. Wir werden von der verantwortlichen Leiterin Pascale Guarino erwartet und bekommen einen Einblick in die Arbeitsweise des Projektes. Breite Unterstützung bekommt das ‚Projekt CASAS' von Kirchengemeinden aus Straßburg und Umgebung, von der UEPAL, der Caritas, von vielen Spendern und von der Stadt Straßburg. Das Ziel von ‚CASAS' ist die Unterstützung von Asylbewerbern, die noch keinen anerkannten Status haben. Es gibt Rechtsberatung, Unterstützung bei Behördengängen, eine Kleiderkammer und weitere helfende Maßnahmen. Welch wichtige Arbeit das ‚Projekt CASAS' leistet, wird während des Besuches im Haus der Evangelischen Solidarität deutlich.

Eine weltweite Bewegung über alle Grenzen und Konfessionen hinweg stellt der Weltgebetstag (WGT) dar. Die Begegnung mit Pfarrerin der UEPAL Laurence Gangloff ist für unsere Frauengruppe aus Kurhessen-Waldeck ein weiterer Höhepunkt, denn Pfarrerin Gangloff ist seit 2017 Präsidentin des Internationalen WGT-Komitees. Mit Liedern aus der WGT-Liturgie 2018 beschließen wir den regen Gedankenaustausch und fühlen uns mit den Frauen weltweit verbunden.
Straßburg ist Europastadt. Nicht nur das Europaparlament hat hier seinen Sitz, sondern weitere europäische Institutionen wie der Europarat oder der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte. Das Europäische Parlament als einzigartige, multinationale parlamentarische Versammlung, die direkt von den Bürgerinnen und Bürgern gewählt wird, ist ein Besuch wert. Beeindruckend ist der riesige Plenarsaal für die 751 Abgeordneten. Über die Arbeitsweise des europäischen Parlaments erhalten wir viele Informationen sowie Einblicke in das gemeinsame ‚Haus Europa'.

Eine Reise mit der GA-Frauenarbeit wäre unvorstellbar ohne den Besuch eines Gottesdienstes in der jeweiligen Diasporagemeinde. Die Sankt Thomas Kirche in Straßburg lädt zum deutsch-französi-schen Gottesdienst ein. Diese im Elsass einmalige Hallenkirche aus dem 9. Jahrhundert wird auch als das Münster der Protestanten bezeichnet. Gemeinsam mit der Gemeinde und ausländischen Gästen feiern wir den Gottesdienst zum Erntedankfest. Eine neue Erfahrung bedeutet für uns das Aufstehen während der Lieder. Der Gesang wird aber auf diese Weise sehr beflügelt. Unterstützt durch den wunderbar vollen Klang der imposanten Orgel - aus der Werkstatt von Andreas Silbermann aus dem 17. Jahrhundert – erfüllen die Klänge den großen Raum des Gotteshauses. Erwähnenswert ist noch der Hinweis, dass Albert Schweitzer auf dieser Silbermannorgel öfter Konzerte veranstaltet hat, um Gelder für sein Hospital in Afrika zu sammeln. Nach dem Gottesdienst treffen wir uns mit Pfarrer Christian Greiner von der Thomaskirche. Im Gesprächsaustausch entsteht das Bild einer florierenden Gemeinde. Drei Arbeitsschwerpunkte stellt Pfarrer Greiner vor: zunächst die Gemeindearbeit mit Gruppen und Kreisen; ein zweites Arbeitsfeld ist die Betreuung der jährlich rund 200 000 Touristen; ein dritter Bereich umfasst die kulturelle Arbeit mit Konzerten oder Ausstellungen, dadurch kann die Gemeinde ihre finanzielle Lage verbessern. Der Kirche im Elsass sind viele Möglichkeiten gegeben. Wir sind so etwas wie ein Schaufester, wir sind etwas Besonderes, umschreibt Pfarrer Greiner diese Erfahrung und erwähnt in diesem Zusammenhang die große Akzeptanz für das Evangelische Gymnasium in Straßburg, das von zweitausend Schülerinnen und Schüler besucht wird. Die Sonderstellung der Kirchen im Elsass lässt sich in keinster Weise mit der Situation evangelischer Gemeinden in Paris oder im restlichen Frankreich vergleichen. Infolge des Sonderstatus für Elsass Lothringen spielt der sonst in Frankreich praktizierte Laizismus hier keine Rolle. Plötzlich wird eine zurückliegende Begegnung in der reformierten Gemeinde St Cloud bei Paris ganz lebendig. Vor einigen Jahren war Paris das Ziel der GA-Frauenreise. Evangelisch in Frankreich zeigt sich auf unterschiedliche Weise. Mit dem Besuch in Straßburg haben wir eine weitere Facette kennengelernt.

Straßburg wird als eine der schönsten Städte der Welt bezeichnet. Das gesamte Zentrum der Stadt, in der Mitte das Wahrzeichen mit dem berühmten Straßburger Münster, ist ein einzigartiges Ensemble wunderschöner Architektur. Bei weiteren geführten Stadtrundgängen erschließt sich uns unter fachkundiger Führung der Blick auf viele Details sowohl der reichen Steinmetzarbeiten im und am Münster, als auch an vielen Patrizierhäusern und im Straßenbild der kleinen Gässchen. Ein Besuch in Straßburg ohne den Genuss elsässischer Küche ist unvollständig. Bei einem gemeinsamen Flamm-kuchenessen in einem historischen Restaurant lassen wir die Reise ausklingen. Für uns Frauen aus Kurhessen-Waldeck hat der Satz Grenzen sind dazu da, um sie zu überschreiten eine ganz neue Bedeutung gewonnen. Wir haben realiter eine Grenze überschritten, virtuelle Grenzen haben wir erkannt. Diese Bewusstseinserweiterung verdanken wir Inge Rühl. In hervorragender Vorbereitung und Durchführung hat Inge Rühl auch diese Studienreise wieder zu einem Erlebnis werden lassen. Als Vorsitzende der Frauenarbeit im Gustav-Adolf-Werk knüpft und pflegt Inge Rühl weltweite Kontakte. Sie sind wie ein Türöffner, von dem wir alle profitieren können. Einen herzlichen Dank an Inge Rühl.

Ulrike Kany
Beauftragte für Öffentlichkeitsarbeit im GAW-Kurhessen-Waldeck

 

Links:
www.uepal.fr
www.casas.fr

 



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