Brief aus Beirut

Foto: Jürgen Henning

Pfarrer Jürgen Henning aus Kurhessen-Waldeck seit einem Jahr zuständig für die Evangelischen Gemeinde Beirut berichet aus dem Leben im Libanon

 

Gelobt seist du, Herr, durch unsere Schwester, die Mutter Erde,
die gütig und stark uns trägt und mancherlei Frucht uns bietet
mit farbigen Blumen und Matten.

Seit einem Jahr lebe ich nun im Libanon. Eigentlich ein schönes Land und vielfältig: da sind die hohen, bis in den Sommer hinein schneebedeckten Berge des Libanongebirges, die bewaldeten Höhen des Chouf, die grüne, fruchtbare Bekaa-Ebene, die Täler und grasbewachsenen Hügel des Grenzlandes im Süden um den Litanifluss – das weite Meer! Und ich liebe es, auf einer Anhöhe zu stehen, über die weite Landschaft zu schauen, die in das helle Sonnenlicht getaucht ist, bis zum Horizont, den das Meer beschreibt, den Geruch der Natur tief einzuatmen - Wie ist die Welt so schön!

Seit einem Jahr lebe ich im Libanon. Ein Land auch, das eines der am meisten zersiedelten Länder der Erde ist und zu den größten Umweltverschmutzern der Welt zählt. Wo scheinbar jeder schöne Platz mit Aussicht mit einer Villa oder einer betonklotzigen Kirche gekrönt werden muss und Schrott vor sich hin rostet an Küsten, die mit Plastikmüll umsäumt sind, wo ich oft morgens nach kurzem Versuch zu lüften die Fenster gleich wieder schließe, um den Gestank und die Abgase der Stromgeneratoren und Autos draußen zu halten.

„Wie ist die Welt so schön", hat einmal eine alte Dame während eines Gemeindeausflugs beseelt ausgerufen, an die ich denken muss. Und dann hat sie etwas resignierend nachgeschoben: „Nur die Menschen sind so schlecht!"

"Macht euch die Erde untertan!" – Jahrhundertelang sind Menschen ja zu diesem fatalen Missverständnis erzogen worden: die Erde als eine Sache anzusehen, über der ich stehe, die ich besitze und beherrsche, mit der ich machen kann, was ich will, mit der ich haushalten und wirtschaften kann, aus der ich höchsten Profit herausholen kann. Als „Schlechtigkeit" und Sünde wurde das jedenfalls nicht betrachtet. - Ansichtssache? Bei vielen scheint da der Satz aus dem zweiten Schöpfungsbericht weiter unbekannt zu sein: "Und Gott, der Herr, nahm den Menschen und setzte ihn in den Garten Eden, dass er ihn bebaute und bewahrte." - Die Erde ist uns anvertraut, unserer dankbaren Hochachtung, unserer Pflege und Fürsorge, wie eine alte Mutter vielleicht, von der wir so viel empfangen haben und noch erhalten. Können wir die Erde so ansehen?

Als weiße Siedler nach Nordamerika kamen, bauten sie feste Häuser, rammten Pfähle in den Boden und zogen Zäune - ihre Sicht der Dinge! Den Indianern war das unverständlich: „Die Erde ist doch unsere Mutter", sagten sie, „wie könnt ihr eure Mutter verletzen, ihr Pfeile ins Herz bohren?" So sahen sie es.

Auch der Heilige Franziskus, der von der Existenz der Indianer und ihrer Natursicht nichts wusste, sah die Erde nicht als einen Besitz an, sondern als unsere Mutter, ... "die gütig und stark uns trägt und mancherlei Frucht uns bietet mit farbigen Blumen und Matten". So verstand Franziskus zu Recht auch die Bibel, die die Erde zwar nicht ausdrücklich als Mutter bezeichnet, aber ihr Sein und Wirken so beschreibt: "Und Gott ließ sie hervorbringen Pflanzen und Tiere", er ließ "aufgehen" und "aufwachsen". Man könnte stattdessen auch sagen: „Gott ließ die Erde "gebären". Sähen wir die Erde an wie unsere Mutter, gingen wir anders mit ihr um. So sagte Franziskus einmal zu einem Bruder, der den Garten bestellte, er möge nie das ganze Erdreich nur mit essbaren Kräutern bestellen, sondern auch einen Teil des Bodens freilassen, dass da auch Gras Platz habe, damit zu jeder Jahreszeit unsere Schwestern, die Blumen, gedeihen können, die Mutter Erde gebiert.

Seit einem Jahr lebe ich nun im Libanon. Eigentlich ein schönes Land, ein Land mit vielen Problemen, ein Land auch mit Hoffnung. Es werden immer mehr, die mit Einkaufstasche zum Supermarkt gehen und von den Einpackern nicht mehr belächelt werden, wenn sie die Plastiktüten ablehnen und ihnen stattdessen Netze und Stoffbeutel entgegenhalten. Immer mehr tun sich in Initiativen zusammen und lassen Plastik, Glas und Papier von privaten oder gemeinnützigen Recyclingunternehmen abholen, und Trinkbecher aus recyceltem Glas sind hierzulande auch bei denen „in", die ansonsten erst noch lernen müssen, dass man Geld und Beton nicht essen kann.

„Gelobt seist du, Herr, durch unsere Schwester, die Mutter Erde", - mögen unsere Herzen weit werden für solches Lob und für ein Handeln, das diesem Lob entspricht.

 

Pfarrer Jürgen Henning

 

Weitere Informationen: evangelische-gemeinde-beirut.org
Kontakt: info@evangelische-gemeinde-beirut.org



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