Auf Spurensuche in Fritzlar – Begegnungstag der GAW-Frauen in der Dom- und Kaiserstadt

 

Bericht über den Ausflug der GAW-Frauen nach Fritzlar am 16.10.2022
von Ulrike Combé-v. Nathusius

Am Sonntag, den 16.10., besuchten 21 Frauen des Gustav-Adolf-Werkes unserer kurhessischen Kirche – sie kamen aus Karlshafen, Bad Arolsen und Hanau zusammen – die Dom- und Kaiserstadt Fritzlar. Inge Rühl, die Verantwortliche für Frauenarbeit des GAW der EKKW und deutschlandweit, hatte für diesen Tag ein Programm zusammengestellt, das sowohl geistliche Erbauung, Austausch untereinander und mit Vertreter/innen der beiden großen Konfessionen vorsah. – Zum zweiten Mal stand in diesem Jahr eine Tagesreise auf dem Programm, im letzten Jahr führte sie nach Fulda; in den Jahren zuvor waren es Mehrtagesreisen, u.a. nach Breslau, Slowenien oder ins Elsaß – mit dem Ziel, aus eigener Anschauung zu erleben, was Diaspora meint und wie sie in anderen Ländern gelebt wird.

Um 10.30 Uhr traf sich die Frauengruppe in der Minoritenkirche mit Mitgliedern der evangelischen Kirchengemeinde zum Sonntags-Gottesdienst. Pfarrer Schrader, der auch durch seine frei gesprochene Predigt und seine liturgische Präsenz die Gottesdienstbesucher/innen fesselte, predigte über die für diesem 18. Sonntag nach Trinitatis als Predigttext vorgegebenen Worte des Paulus aus dem Epheser-Brief (Eph. 5, 15 – 21), in denen Paulus der jungen Gemeinde den Rat gibt: „Kostet die Zeit aus“, denn es sei – so fährt er fort – „böse Zeit“. Man könnte diese Aufforderung des Paulus, so Pfarrer Schrader, auch übersetzten im Sinne des Mottos von Horaz: „Carpe diem“: Nütze den Tag, wörtlich übersetzt: „Pflücke den Tag.“ Christen, so sagt Paulus weiter, seien in die Lage versetzt, den Tag trotz aller seiner Widrigkeiten im Gesellschaftlichen und Privaten zu genießen, denn sie seien – ganz wörtlich verstanden – frei gekauft vom „Marktplatz der Sklaverei“ durch den Tod Jesu am Kreuz. – Dass diese menschliche Unfreiheit auch unsere Gegenwart kennzeichne und dieser Zuspruch vor diesem Hintergrund nichts an Aktualität eingebüßt hat, darauf ging Pfarrer Schrader näher ein. Seine Zuhörer/innen lud er ein, die Aufforderung des Paulus, sich „abfüllen zu lassen vom Geist Gottes“, bewusst und intensiv wahrzunehmen und den sonntäglichen Gottesdienst als eine Art „Aufladestation“ des Geistes Gottes zu begreifen und diese Erfahrung, dass wir als Christen uns als „erlöst“ begreifen dürfen, auch weiterzusagen und als Christen in der zunehmend säkularer werdenden Gesellschaft um uns herum auszustrahlen. –

Zum Schluss des Gottesdienstes ergriff die Vorsitzende der Frauenarbeit des GAW, Inge Rühl, die Gelegenheit, die Gottesdienstbesucher/innen über die Arbeit des GAW, insbesondere die Frauenarbeit, zu informieren. Mit einigen Gemeindegliedern, die sich am GAW interessiert zeigten, kam man beim Kirchenkaffee ins Gespräch.

Nach dem Gottesdienst gab Herr Pfarrer Schrader einige wenige Erläuterungen zum Sakralbau der Minoritenkirche und zum interkonfessionellen Miteinander in Fritzlar.

Der Nepomuk-Altar aus dem Jahr 1735, der jetzt die Apsis schmückt, habe ursprünglich nicht an dieser zentralen Stelle gestanden. Nepomuk, ursprünglich aus Prag stammend und auch als „Brückenheiliger“ verehrt, wollte sein Beichtgeheimnis nicht brechen und wurde deshalb zum Vorbild und Heiligen. Auf der linken Seite des Altars findet sich eine Statue der Heiligen Elisabeth und zeigt sie in der Pose der Zuwendung zu einem Bettler; in dieser Plastik – so Pfarrer Schrader – sei wiederum das karitative Tun der Franziskaner anschaulich gemacht. Der mittelalterliche Kirchbau der Minoritenkirche, der angesichts der hohen, hellen Fenster viel Licht durchlasse, sei an den Grenzen der ursprünglichen Stadtmauer von Franziskanern errichtet worden als Teil einer Klosteranlage; der Kreuzganz ist noch erhalten, aber der Öffentlichkeit nicht zugänglich; die Franziskaner hatten sich die Kranken- und Altenversorgung zur Aufgabe gemacht; noch heute grenzt das Heilig-Geist-Krankenhaus unmittelbar an die Kirche an.

Was die Ausgestaltung der Ökumene vor Ort angehe, so hob er die gute Zusammenarbeit beim Weltgebetstag der Frauen und den Austausch im Rahmen der sog. Ökumenischen Konferenz positiv hervor, ebenso die Kooperation in der Vorbereitung und Durchführung von ökumenischen Schul-Gottesdiensten; Vertreter des konservativ sich verstehenden Prämonstratenser-Ordens hätten Fritzlar inzwischen verlassen.

Bei herrlichem Herbstwetter – bei blauem Himmel und bunten Blättern an den Bäumen – wanderten die Frauen dann durch die schmale von mittelalterlichen Fachwerkhäusern gesäumte Gasse zum Marktplatz, dem Mittelpunkt der Stadt; genau dort, am Markt, kehrte die Gruppe im renommierten Restaurants Nägel, bekannt für seine österreichische Küche, ein. Die Frauen nutzen das Mittagessen in einem Raum, der für sie reserviert war, zu persönlichen Gesprächen an runden Tischen.

Um 14.20 Uhr traf man sich dann mit der Pastoralreferentin, des Schwalm-Eder-Kreises, Frau Andrea Koucky, vor dem Portal des Domes. Ihre Aufgaben, so führte sie im Rahmen einer Kurzvorstellung ihrer Person aus, sei zum einen die Gemeindebegleitung und Dekanatsassistenz; und zum anderen sei sie verantwortlich für die Schulseelsorge an der katholischen Ursulinenschule, einer Gesamtschule mit Oberstufe, ca. 1200 Schüler/innen in katholischer Trägerschaft. Interessant war zu erfahren, dass ca. 2/3 der Schülerschaft evangelisch seien und nur ein Drittel katholisch; neben diesem Gymnasium gibt es in Fritzlar noch ein weiteres in staatlicher Trägerschaft. –

Angesichts von rückläufigen Kirchenmitgliederzahlen (In diesem Jahr sank erstmalig die Zahl der Christen, gemessen an der Gesamtbevölkerung in Deutschland, unter 50 %) und angesichts von Personalknappheit unter den katholischen Priestern sei geplant, aus dem gesamten Schwalm-Eder-Kreis eine einzige Pfarrei mit Fritzlar als Zentrum zu machen. Auch Frau Koucky betonte vor dem Hintergrund einer Tendenz des zunehmenden Säkularismus und des schleichenden Bedeutungsverlustes von Religion – wie bereits Pfarrer Schrader am Vormittag –, dass man als einzelner Christ dem nur etwas entgegensetzen könne durch das Zeugnis des eigenen Lebens. Und vor dem Hintergrund des Bedeutungsverlusts des Christentums sei der interkonfessionelle Austausch, sei Ökumene, wichtiger denn je. In Nordhessen, so meint sie, sei man diesbezüglich gut unterwegs, auf höherer theologischer Ebene seien diese Bemühungen zugegebenermaßen derzeit allerdings ins Stocken geraten.

Interessant war für die Zuhörerinnen zu erfahren, dass die Zahl der Katholiken, wenn man den gesamten Dekanatsbezirk zugrunde legt, derzeit nur noch 7 Prozent der Gesamtbevölkerung ausmache; nach dem Krieg habe sich die entschieden höhere Zahl der Katholiken mit den vielen Heimatvertriebenen aus dem Sudetenland u.a. erklärt.

Dass die Frauen sich  am Eingang des Domes an einem historisch bedeutsamen Ort aufhalten, darauf ging Frau Koucky ebenfalls kurz ein: Der aus der Grafschaft Exter stammende und wahrscheinlich um 673 geborene Missionar Bonifatius sei nämlich im Rahmen seiner Missionsreise im Umland von Fritzlar auf den Stamm der Chatten gestoßen; sie verehren als höchste Gottheit den Gott Donar, auch Thor genannt; zum Beleg, dafür dass sie einen „falschen Gott“ verehrten, sozusagen als Gottesbeweis, ließ er die sogenannte Donar-Eiche im Ort Geismar fällen; aus deren Holz sei, so sagt man, im Jahr 723 der Vorgängerbau des Domes aus Holz gebaut worden.

Durch das Längsschiff des ursprünglich romanischen, später gotisch ausgebauten Domes, der Sankt-Petri-Kirche, gelangte die Besuchergruppe in die Krypta des Heiligen Wigbert. Er war Angelsachse, um 670 geboren, war mönchisch erzogen und priesterlich ausgebildet und folgte Bonifatius um 730 in das hessisch-thüringische Missionsgebiet; in Fritzlar wurde er Abt des von Bonifatius gegründeten Benediktinerordens.  Dass Bonifatius so erfolgreich habe seine Missionsarbeit durchführen können, erkläre sich u.a. auch damit, dass er sowohl vom damaligen Papst als auch den Karolingern unterstützt worden sei. Im Jahr 732, so führte Frau Koucky weiter aus, ließ er die Holzkirche durch eine Basilika ersetzen. Wigbert sei der erste Leiter der von Bonifatius gegründeten Klosterschule gewesen; sein Todesjahr sei nicht bekannt.

Auch auf eine weitere kulturhistorische Besonderheit machte Frau Koucky aufmerksam: auf den sogenannten Gnadenstuhl in einem Nebenraum der Krypta; der Heilige Geist ist hier weiblich dargestellt.

In Gespräch kamen die Frauen mit der Pastoralreferentin über das Thema, welchen Weg die katholische Kirche in der Zukunft einschlagen solle; thematische Aspekte, wie die Frage nach „Taufen durch Laien“, den „Synodalen Weg“, die Frauenbewegung innerhalb der katholischen Kirche „Maria, 2.0“, das Diakonat für Frauen, die Schwierigkeit, junge Frauen für die Arbeit der KFD-Gruppe zu gewinnen, wurden in dem Zusammenhang angesprochen. Grundsätzlich hob die Referentin das gute ökumenische Miteinander, auch und insbesondere in Homberg, hervor.

Berührend war die sich an das Gespräch über kirchenpolitische Themen anschließende Andacht in der eine besondere Stimmung der Ruhe ausstrahlenden Krypta mit ihren romanischen Säulen und Kapitellen; Bitten um die Erfahrung von Gemeinschaft, auch wachsender Einheit in der Ökumene wurden vor Gott gebracht. Das Wachsen der Ökumene, so Frau Koucky, sei in Anlehnung an Weggeschichten, die in der Bibel erzählt werden, auch eine Art Weggeschichte.

Unmittelbar an die Andacht schloss sich eine ca.  1,5-stündige Stadtführung an. Der Stadtführer machte am Eingang zum Dom auf eine Art Wappen aus Metall oberhalb des Einganges aufmerksam; im Jahr 2004 sei der Dom vom damaligen Papst Johannes Paul II. zu einer sogenannten „basilica minor“ erhoben worden; das ist ein besonderer Ehrentitel, den ein Papst einem Kirchengebäude verleihen kann; weltweit gebe es davon über 1800, davon mehr als 700 alleine in Italien. Ferner war zu erfahren, dass die Stadt Fritzlar erst im12. Jahrhundert als Besitz an die Stadt Mainz fiel; daran erinnert an vielen Stellen das Mainzer Rad oder Doppelrad. Im Jahre 1829, mit der Säkularisierung, wurde Fritzlar dem Bistum Fulda zugeschlagen. Die Stadt Fritzlar sei für die deutsche Geschichte von herausragendem Rang und trage ihren Beinamen „Dom -und Kaiserstadt“ zurecht; in ihr hätten viele kirchliche und auch weltliche Synoden getagt; im Jahr 919 sei ein Sachse auf fränkischem Gebiet in den Königsstand erhoben worden, nämlich Heinrich der Vogeler, Heinrich I., Vater von Otto dem Großen. – Auf dem Gang durch die Stadt fiel in unmittelbarer Nähe zum Dom das repräsentative Rathaus mit Steinsockel und Fachwerk in den Obergeschossen auf; es stammt aus der Mitte des 15. Jahrhunderts und sei das älteste in Deutschland; reiche Kaufmannsfamilien und Zunftvorstände hätten seinerzeit den Magistrat gestellt; an der Giebelseite des Rathauses findet sich ein Steinrelief mit dem Schutzpatron der Stadt, dem Heiligen Martin. – Auch auf einen sogenannten Schandstein wurden die Frauen aufmerksam gemacht; seinerzeit seien Menschen, die sich moralisch fehlerhaft verhalten hätten, für ein oder mehrere Tage an solch einen Schandstein gebunden worden und für die Öffentlichkeit zu Abschreckungszwecken zur Schau gestellt worden mit dem Ziel, eine Läuterung herbeizuführen. – Am Steinhaus, auf dem die Besuchergruppe sodann vorbeikam, machte der Stadtführer aufmerksam auf den gotischen Staffelgiebel am Steinhaus; es stammt aus dem 15. Jahrhundert und war früher Sitz der Kurie. Im Jahr 800 habe Fritzlar Stadtrechte verliehen bekommen mit eigener Gerichtsbarkeit, Münzhoheit, dem Recht, Markttage abzuhalten, dem sogenannten Stapelrecht von Gütern und mit einer eigenen Stadtmauer; Fritzlar habe nämlich an zwei wichtigen Handelsrouten gelegen. Und der Fluss, die Eder, sei zum einen Energiequelle (Fische) gewesen, zum anderen habe er als Transportweg gedient und außerdem zur Abführung von Abwässern. Am Marktplatz, an dem man dann vorbeikam, verwies der Stadtführer auf den Brunnen mit der Figur des Rolands; sie verkörpert den Hinweis, dass Fritzlar eine Stadt mit Stadtrechten war. Von der ca 2, 5 Kilometer langen Stadtmauer seien heute noch Reste erhalten und begehbar und von den 23 Türmen existieren heute noch 9, u.a. der graue Turm mit seiner gerundeten Außenmauer (zur besseren Verteidigung) und mit seiner Höhe von 38 Metern, den die Gruppe als letztes, nach einem Zwischenhalt beim sogenannten Hochzeitshaus (dem heutigen Regionalmuseum) aus nächster Nähe in Augenschein nahm.

Ganz zum Schluss der Führung gab der Stadtführer seinen Namen und seine berufliche Funktion preis: Jörg-Uwe Meister, Leiter der Justizvollzugsanstalt Wehlheiden in Kassel. Als Bonmot gab er zum Besten, dass auch er, selbst Theologie studiert habe und, schon viele Bischöfe und Kirchenleute in der von ihm geleiteten Einrichtung habe begrüßen dürfen, weil sie sich für die Arbeit der Vollzugsanstalt interessieren oder weil sie (wie der ehemalige kurhessische Bischof Martin Hein) Andachten für die Inhaftierten angeboten haben. Dass Kirche in die Gesellschaft hineinwirkt und wirken muss, wurde daran wiederholt deutlich.

Den Ausflugstag beschloss Inge Rühl mit einem kurzen Rückblick auf den Tag und einem Reisesegen, abgedruckt auf einer Karte: „Ich wünsche dir einen Engel, der dich anrührt (Druckfehler auf der Karte, dort „anführt“) und aufweckt aus eingeschlichenen Gewohnheiten, der sich hineinstupst ins Leben, das gelebt werden will“ (Christine Ruderhausen).

Den Teilnehmerinnen bedankten sich abschließend, gegen 17.15 Uhr, bei Inge Rühl recht herzlich für diesen anregenden und gelungenen Tag.

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